Über Jahre hinweg gilt Wirecard als deutsche Hoffnung für die digitale Finanzindustrie. Doch dann folgt der jähe Absturz, der auch Aufsichtsbehörden und Bundesregierung zunehmend in Erklärungsnot bringt. Nun hat der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard seinen Abschlussbericht vorgelegt.
1999
Wirecard wird in München gegründet und konzentriert sich schnell auf den Zahlungsverkehr im Internet. Zu den ersten Kunden gehören vor allem Kasinos und Porno-Seiten, weil diese früh auf den Onlinehandel setzten.
2015
Wirecard legt zumindest nach außen ein spektakuläres Wachstum hin. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft München I macht das Unternehmen aber spätestens ab Ende 2015 Verluste. Deshalb hätten Gründer und Vorstandschef Markus Braun sowie zwei weitere Manager Bilanzsumme und Umsatzvolumen durch Vortäuschen von Einnahmen aufgebläht.
SEPTEMBER 2018
Wirecard wird in den Deutschen Aktienindex (Dax) aufgenommen und ersetzt dort die traditionsreiche Commerzbank.
JANUAR 2019
Die „Financial Times“ veröffentlicht binnen mehrerer Wochen drei Artikel, in denen sie Wirecard der Bilanzfälschung beschuldigt. Das Unternehmen habe in Asien seine Bilanzen künstlich aufgeblasen. Die Konzernführung weist die Vorwürfe als haltlos zurück. Der Kurs der Wirecard-Aktie bricht dennoch ein.
FEBRUAR 2019
Die Finanzaufsicht Bafin veranlasst eine Sonderprüfung zu Wirecard. Damit beauftragt sie die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Dort soll aber nur ein einziger Mitarbeiter für den komplexen Fall zuständig gewesen sein. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wird über die Ermittlungen informiert.
SEPTEMBER 2019
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt sich auf einer China-Reise für den Markteintritt von Wirecard ein.
OKTOBER 2019
Die „Financial Times“ berichtet erneut über Auffälligkeiten bei der Buchhaltung von Wirecard, diesmal im Zusammenhang mit Geschäften in der Golfregion.
NOVEMBER 2019
Die Prüfgesellschaft EY verweigert der Wirecard-Tochter in Singapur das Testat für die Richtigkeit der Jahresbilanz 2017.
APRIL 2020
Die Prüfgesellschaft KPMG veröffentlicht ihren Bericht über die Wirecard-Bilanzen 2016 bis 2018. Die Prüfer beklagen, der Konzern habe ihnen zentrale Dokumente vorenthalten.
5. JUNI
Die Bafin teilt mit, dass sie bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige gegen Wirecard wegen des Verdachts der Marktmanipulation gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft durchsucht den Firmensitz in Aschheim.
18. JUNI
Wirecard muss seinen Jahresabschluss erneut verschieben, weil die Abschlussprüfer Nachweise für die Existenz von Bankguthaben über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten bei zwei asiatischen Banken vermissen.
19. JUNI
Wirecard-Chef Braun tritt zurück. Die Wirecard-Aktie stürzt weiter ab.
22. JUNI
Wirecard räumt ein, dass die fehlenden 1,9 Milliarden Euro wohl nicht existieren. Ex-Chef Braun wird wegen des Verdachts der Marktmanipulation verhaftet, kommt aber gegen eine Millionenkaution wieder frei. Nach Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird gefahndet.
25. JUNI
Wirecard meldet Insolvenz beim Amtsgericht München an.
1. JULI
Die Staatsanwaltschaft durchsucht fünf Gebäude von Wirecard in Deutschland und Österreich.
22. JULI
Braun wird erneut festgenommen, außerdem zwei Ex-Vorstände. Grund ist laut Staatsanwaltschaft der nun „ganz erheblich“ erweiterte Tatvorwurf der Bilanz- und Umsatzfälschung seit 2015.
24. AUGUST
Der Essenslieferdienst Delivery Hero ersetzt Wirecard im Dax.
10. SEPTEMBER
Grüne, FDP und Linkspartei stellen ihren Antrag auf einen Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages vor. Sie wollen insbesondere den Umgang der Bundesregierung und ihrer Behörden mit dem Fall aufklären lassen und fordern umfassende Akteneinsicht. Im Oktober nimmt der Ausschuss seine Arbeit auf und befragt über 100 Zeuginnen und Zeugen – darunter neben Wirtschaftsprüfern und Vertretern von Aufsichtsbehörden auch Ex-Wirecard Chef Braun.
2. FEBRUAR 2021
Scholz kündigt eine grundlegende Reform der Bafin an, inklusive personeller Neuaufstellung an der Spitze der Behörde.
20. bis 23. APRIL
Der Untersuchungsausschuss lädt mehrere Mitglieder der Bundesregierung als Zeugen, darunter Altmaier, Scholz und Merkel.
07. JUNI
Grüne, Linke und FDP stellen ein Sondervotum zum Untersuchungsausschuss vor. Darin beklagen sie ein „kollektives Aufsichtsversagen“ und sehen eine klare politische Verantwortung für den Fall Wirecard.
22. JUNI
Der Ausschuss stellt seinen gemeinsamen Abschlussbericht vor. Darin bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung ausgespart. Die AfD fordert in einem eigenen Sondervotum Scholz‘ Rücktritt.