Pizzakartons. Zahnseide. Kaffeebecher. Campingzelte. Teflonpfannen. Bettwäsche. Regenjacken. Alltagsgegenstände, die jeder kennt und jeder nutzt. Doch kaum einer ahnt, dass sie Mensch, Tier und Umwelt schleichend und unaufhörlich vergiften. Warum? Sie sind beschichtet mit der Chemikalie PFAS, auch bekannt als Ewigkeitsgift. Dieses Gift wird nie wieder verschwinden, ist überall und macht uns potenziell krank.
„Giftig. Unzerstörbar. Thilo Mischke auf den Spuren tödlicher Chemikalien“
Zwei Jahre lang recherchierte ProSieben-Reporter Thilo Mischke zum Jahrhundertgift für seinen neuen Film. ProSieben zeigt die Reportage am kommenden Montag, 6. März 2023, um 20:15 Uhr. Im Interview berichtet Thilo Mischke von der erschreckenden Ahnungslosigkeit, mit der er während seiner Dreharbeiten konfrontiert war, von seiner eigenen Wut und spricht darüber, mit welcher Perspektive er in die Zukunft blickt.
Thilo Mischke, PFAS – das klingt ziemlich sperrig. Was steckt hinter dieser Abkürzung?
Thilo Mischke: PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Also nicht weniger sperrig. Diese Abkürzung steht allerdings auch für eine großartige Errungenschaft der Menschheit: wasser- und schmutzabweisende Oberflächen. Die braucht man für OP-Kittel genauso wie für Outdoor-Klamotten. Nun hat sich aber leider herausgestellt: Diese Chemikalien sind unter anderem fortpflanzungsgefährdend, reduzieren Leber- und Nierenwirkung, führen zu einem reduzierten Geburtsgewicht und stehen im Verdacht, Krebs auszulösen. Und sie sind mittlerweile über den ganzen Globus verteilt.
Wie bist Du auf das Thema gestoßen und wann wurde Dir klar: Das ist echt brisant!
Thilo Mischke: Ich habe während der Corona-Pandemie den Spielfilm „Dark Waters“ gesehen, über die Entdeckung der Chemikalie 2006 in den USA und die katastrophalen Auswirkungen der PFAS-Verseuchung auf Menschen und Tiere. 2006: Das ist nicht lange her. Nachdem ich den Film gesehen habe, habe ich mit dem Recherchieren begonnen und festgestellt: PFAS sind nicht nur ein amerikanisches Thema, auch Deutschland ist betroffen – und der ganze Globus.
Die Nutzung von PFAS ist ein zweischneidiges Schwert. Bei medizinischen Produkten wie beispielsweise OP-Schläuchen ist die Beschichtung mit diesen Chemikalien lebenswichtig. Bei Fahrradölen stellt sich die Frage: Geht es nicht auch ohne? Wie stehst Du dazu?
Thilo Mischke: Ich bin für eine strenge Regulation. Für medizinische Zwecke sollten wir PFAS weiter verwenden. Für Kaffeebecher definitiv nicht!
Welche Bedrohung die ‚Forever Chemicals‘ für den Menschen darstellen, scheint noch nicht in der Breite angekommen zu sein. Du warst unter anderem in Altötting unterwegs. Der Landkreis ist wegen seiner Chemieparks ein absoluter PFAS-Hotspot …
Thilo Mischke: Man trifft dort mitunter große Ahnungslosigkeit, und das hat mich sehr verblüfft. Wenn die Politik in diesem Teil von Deutschland wenigstens seine Bürger verteidigen und bilden würde. Wenn sie mit der Industrie wenigstens Entschädigungen klären würde. Aber nein, nichts passiert. Und Altötting gilt bis heute als höchst kontaminiert.
Das Ewigkeitsgift ist nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern betrifft buchstäblich die ganze Welt. Du warst für Deine Recherchen auch in Italien, Grönland und den USA unterwegs. Was hat dabei den stärksten Eindruck hinterlassen?
Thilo Mischke: Was mich nicht mehr los lässt ist die Erkenntnis, dass die ‚Forever Chemicals‘ überall sind, dass die Wissenschaft weiß, wie schädlich sie sein können, aber dass nichts oder nur kaum etwas gegen diese kaum greifbare, aber lebensbedrohliche Gefahr unternommen wird. Da bin ich dann weniger Journalist, der diesem Thema objektiv gegenübersteht. Da bin ich Mensch, der Angst um seinen Planeten hat.
Du hast auch Dein eigenes Blut untersuchen lassen. Das Ergebnis: Auch Du hast PFAS im Körper. Was löst dieses Wissen bei Dir aus?
Thilo Mischke: Wut. Ich wurde vergiftet für den Profit von Unternehmen. Und das finde ich so ungerecht! Ich ackere mich auf dem Laufband ab, gehe regelmäßig schwimmen, versuche, gesund zu bleiben und möglichst gut alt zu werden. Und nur, weil ich, wie auch immer, in Kontakt mit diesen Chemikalien gekommen bin, kann ich jetzt irgendeine Krankheit bekommen, passiert etwas in meinem Körper, das überhaupt nicht absehbar ist.
Ein Gift, das nicht mehr verschwindet und das Mensch, Tier und Umwelt nach und nach vergiftet – eine sehr düstere Perspektive. Welche Lichtblicke siehst Du für die Zukunft?
Thilo Mischke: Aktuell wird an Möglichkeiten gearbeitet und geforscht, damit wir diese ewige Chemikalie doch irgendwann wieder zerstören können. Aber vermutlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass wir diesen Planeten und damit auch uns selbst vergiftet haben.