Weniger Meereis aber mehr Hering

Hering
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Der Eisschwund in den Polarmeeren könnte der Beginn tiefgreifender Veränderungen im Ökosystem sein. „Welche langfristigen Folgen die geringe sommerliche Meereisbedeckung für die Meeresbewohner hat, ließ sich bisher nur schwer einschätzen, weil entsprechende Langzeituntersuchungen fehlten“, erklärt Ulrike Herzschuh, Leiterin der Forschungsgruppe Polare Terrestrische Umweltsysteme am Alfred-Wegener-Institut. Sie blickte mit Heike Zimmermann und Kathleen Stoof-Leichsenring rund 20.000 Jahre zurück bis in die letzte Eiszeit.

Umweltverhältnisse lassen sich aus Ablagerungen herauslesen

Informationen über die jeweiligen Umweltverhältnisse lassen sich aus den Ablagerungen herauslesen, die sich im Laufe der Jahrtausende am Grund des Meeres angesammelt haben. „Diese Sedimente sind ein natürliches Archiv der Klimageschichte“, sagt Ulrike Herzschuh. Wer das Material mit einem Bohrer an die Oberfläche holt, kann in den unterschiedlich alten Schichten die Spuren längst verstorbener Meeresbewohner finden. Mithilfe der sogenannten Shotgun-Sequenzierung hat das Team DNA von Vertretern aus 167 Familien von Meeresbewohnern gefunden, deren Lebensraum das Eis oder das freie Wasser ist. „Wir waren selbst überrascht, dass in diesen alten Sedimenten Informationen über das komplette Ökosystem stecken“, sagt Ulrike Herzschuh.

Typisch für die kälteren Phasen der letzten Eiszeit waren demnach Diatomeen und andere Algen, die in oder unter dem Meereis leben. Diese winzigen Sauerstoffproduzenten waren eine beliebte Nahrungsquelle für Ruderfußkrebse, die ihrerseits von Fischen aus der Familie der Dorsche wie dem Pazifischen Kabeljau, dem Alaska-Seelachs und dem Polardorsch gefressen wurden. In den wärmeren Epochen ohne Eis gab es dagegen deutlich weniger Diatomeen und Ruderfußkrebse, dafür aber umso mehr Cyanobakterien. Am Meeresgrund breiteten sich in geschützten Buchten Seegraswiesen aus und statt der Dorsche schwammen in der Beringsee mehr Lachse und Pazifische Heringe.

Rückgang des Meereises baut das komplette Ökosystem um

„Wir können damit nun zum ersten Mal zeigen, wie sich mit dem Rückgang des Meereises das komplette Ökosystem umbaut“, resümiert Ulrike Herzschuh. „Das fängt bei den Algen an und geht bis zu den Fischen und Walen.“ Ähnlich tiefgreifende Veränderungen erwartet das Team auch für eine wärmere und weitgehend eisfreie Zukunft. Das aber könnte massive ökologische und wirtschaftliche Auswirkungen haben. So wird sich der Fang einiger beliebter Speisefische wie Seelachs und Kabeljau in der Beringsee womöglich nicht mehr lohnen. Dafür könnten der Buckellachs und der Pazifische Hering weiter nach Norden vordringen.

Dazu kommt, dass die Planktongesellschaften unter eisfreien Bedingungen wohl auch weniger Kohlenstoff in die Tiefe transportieren und in den Sedimenten deponieren. Möglicherweise können die Meere dann nicht mehr so viel Kohlendioxid speichern, was den Klimawandel weiter anheizen würde. Das Verschwinden des Meereises könnte also auch dazu führen, dass diese Ökosysteme wichtige Dienstleistungen nicht mehr in gewohntem Umfang bereitstellen können.

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