Netzflügler: Insektenvielfalt war in der Kreidezeit größer

Symbolbild: Chrysopa perla - Bild: entomart
Symbolbild: Chrysopa perla - Bild: entomart

Menschliches Handeln führt derzeit zu einem Verlust natürlicher Vielfalt, den manche Experten als das sechste große Massensterben der Erdgeschichte bezeichnen. Besonders dramatisch zeigt sich das beim Rückgang von Insekten, die nicht nur eine äußerst vielfältige Tiergruppe darstellen, sondern auch von immenser ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung sind.

Das Ausmaß des aktuellen Verschwindens der Insekten stellt definitiv einen Ausnahmezustand dar. Um die Prozesse dahinter besser zu verstehen, lohnt es sich auf frühere Aussterbeereignisse zurückzublicken. Denn auch bei Insekten in der Vergangenheit gilt: Manche Gruppen gewinnen an Bedeutung und diversifizieren sich, während andere das Nachsehen haben und sich in die wenigen verbleibenden Nischen zurückziehen müssen.

100 Millionen Jahre Larven-Vielfalt

Letzteres scheint auf die sogenannten Netzflügler (Neuroptera) zuzutreffen, zu deren heute noch lebenden Vertretern Florfliegen und Ameisenlöwen gehören. Forschende vermuten schon länger, dass die Bedeutung dieser Insektengruppe seit der Urzeit eher abgenommen hat. Quantitativ überprüft wurde das bisher aber noch nicht.

Ein Team um die LMU-Biologen Carolin Haug und Joachim Haug hat nun eine Studie veröffentlicht, in der die Netzflügler-Diversität von der Kreidezeit bis heute quantitativ erfasst wurde. Zum ersten Mal stützen damit statistische Analysen das Bild der Vielfältigkeit von Netzflüglern über die Evolutionsgeschichte hinweg.

Wie aber misst und vergleicht man die biologische Vielfalt von Insekten im Verlauf der Evolution? Bestenfalls kann man einen unvollständigen Blick auf einen winzigen Bruchteil der Artenvielfalt früherer Ökosysteme werfen, denn Fossilien von Insekten sind sehr selten. Und auch wenn „Jurassic Park“ diesbezüglich andere Erwartungen geschürt hat: Aus kreidezeitlichen in Bernstein eingeschlossenen Krabbeltieren lässt sich auch keine DNA für Verwandtschaftsanalysen mehr extrahieren.

Form und Funktion

Netzflügler gehören zu den holometabolen Insekten, ihre Larven unterscheiden sich also in Aussehen und Lebensweise stark von den erwachsenen Tieren. Während viele Netzflügler nach der Metamorphose Blüten bestäuben, sind ihre Larven oft erbitterte Räuber, was an ihren auffälligen stilettartigen Mundwerkzeugen deutlich wird. Genau diese larvalen Mundwerkzeuge standen im Fokus der Forschenden. „Leider werden Larvenstadien bei solchen Analysen häufig etwas stiefmütterlich behandelt.“, sagt Joachim Haug. „Dabei weisen gerade sie oft morphologische Merkmale auf, die wir als aufschlussreiche Datengrundlage verwenden können.“

Der Grundgedanke: Formenvielfalt ist ein Anzeiger für biologische Vielfalt. Denn je mehr unterschiedliche Kopfformen und Fresswerkzeuge bei den Neuroptera-Larven auftreten, desto mehr ökologische Funktionen nehmen diese ein. Treten in einer erdgeschichtlichen Epoche also besonders viele unterschiedliche Kopfpartien und Mundwerkzeuge auf, lässt sich daraus schlussfolgern, dass in dieser Zeit viele verschiedene Nischen durch diese Tiere besetzt waren. Das funktioniert auch, wenn nur wenige Exemplare überliefert und die Verwandtschaftsverhältnisse unklar sind.

Ein komplexes Muster

Die Forschenden vermaßen die Köpfe von über 1000 Larven, davon alle weltweit bekannten knapp 300 fossilen Netzflügler-Larven und 800 Exemplare noch heute lebender Arten. Sie konnten so bestätigen: Die Vielfalt an Netzflügler-Larven hat in den letzten 100 Millionen Jahren tatsächlich abgenommen.

„Obwohl unser Blick in die Vergangenheit auf einen kleineren Stichprobenumfang und auf ganz bestimmte Regionen der Welt beschränkt ist, können wir dennoch die größere morphologische Vielfalt der Neuroptera-Larven in der Kreidezeit erkennen“, meint Carolin Haug. „Es ist deshalb sogar wahrscheinlich, dass die tatsächliche Vielfalt in der Vergangenheit noch deutlich größer war.“ Insgesamt sei das Bild der Netzflügler-Geschichte aber komplex. Unter dem Strich habe die Vielfalt zwar eindeutig abgenommen, manche Neuroptera-Linien hätten sich aber auch diversifiziert und so an Bedeutung gewonnen.

„Außerdem konnten wir mit unserer Arbeit zeigen, wie viel Potenzial in der morphologischen Untersuchung von Insektenlarven steckt.“, ergänzt Haug. „Die quantitative Morphologie kann Veränderungen aufzeigen, die in einem taxonomischen Rahmen nicht quantitativ erfasst werden können.“

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