Premier Johnson will laut Medienbericht EU-Abmachungen umgehen

Boris Johnson - ALPR/AdMedia/ImageCollect

Vor der neuen Verhandlungsrunde zwischen der EU und Großbritannien über die Beziehungen nach dem Brexit gibt es massive Spannungen: EU-Chefunterhändler Michel Barnier äußerte sich am Montag verärgert über einen britischen Zeitungsbericht, wonach der britische Premier Boris Johnson die mit dem Brexit eingegangenen Zusagen zum Status von Nordirland unterlaufen will. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen rief London auf, Wort zu halten. Johnson erklärte, seine Regierung sei für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen vorbereitet.

„Alles, was unterschrieben wurde, muss respektiert werden“, sagte Barnier dem Radiosender France Inter. Er reagierte damit auf einen Bericht der „Financial Times“. Danach will Johnson zwei Kernvereinbarungen mit der EU zu Nordirland mit einem neuen Gesetz aushebeln. 

Zum einen geht es um Staatshilfen für Unternehmen in Nordirland, die gemäß dem Austrittsabkommen auch künftig unter EU-Regeln fallen würden. Laut der Zeitung will Johnson die Pflicht für die britische Regierung aufweichen, Brüssel über solche Hilfsgelder zu informieren. 

Darüber hinaus geht es um Auflagen für nordirische Unternehmen beim Transport von Waren in das Vereinigte Königreich. Laut Abkommen müssen die Unternehmen die Warensendungen als Exporte deklarieren. Auch diese Pflicht will Johnson dem „FT“-Bericht zufolge nicht mehr vollständig einhalten.

Von der Leyen erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter, sie „vertraue darauf, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen umsetzt“. Die Einhaltung des Vertrages sei „eine völkerrechtliche Verpflichtung und Voraussetzung für jede künftige Partnerschaft“. Das Protokoll über Irland und Nordirland sei „wesentlich, um Frieden und Stabilität auf der Insel und die Integrität des Binnenmarktes zu schützen“, erklärte die EU-Kommissionschefin.

Der Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), warf Johnson vor, Nordirland in den Verhandlungen „erneut als Geisel zu nehmen“. Der Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan, Mitglied in der Brexit-Koordinierungsgruppe des EU-Parlaments, forderte bei „Vertragsverletzung und Gefährdung des irischen Friedensprozesses“ einen Abbruch der Verhandlungen.

Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange (SPD), äußerte sich auf Twitter „schockiert“. „So geht man nicht mit Verhandlungspartnern um“, erklärte er. Die EU werde „sich nicht erpressen lassen“. 

Ein EU-Diplomat in Brüssel merkte an: „Wer will schon ein Handelsabkommen mit einem Land abschließen, das internationale Verträge nicht umsetzt?“ Ein weiterer EU-Diplomat erklärte, wenn die britische Regierung „aus ideologischen Gründen von der Brexit-Klippe springen will, gibt es für die EU absolut keine Möglichkeit, dies zu verhindern“.

Die nächste Verhandlungsrunde über die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit beginnt am Dienstag in London. Beide Seiten dringen auf einen Abschluss bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober.

Johnson betonte laut einer von seinem Büro veröffentlichten Erklärung, wenn es bis dahin keine Einigung gebe, „dann sehe ich nicht, dass es ein Freihandelsabkommen zwischen uns geben wird“. Nach der letzten Runde im August hatte auch Barnier vor einem Scheitern gewarnt.

Johnson verkündete, seine Regierung werde auf ein Scheitern der Verhandlungen „vorbereitet“ sein. Dann werde Großbritannien Handelsbeziehungen zur EU nach dem Muster etwa von jenen zwischen der Europäischen Union und Australien haben. Dies wäre ein „gutes Ergebnis“ für Großbritannien, erklärte Johnson. Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Australien folgen den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).

Zufrieden mit dem Streit zeigte sich der Brexit-Hardliner und langjährige Abgeordnete im EU-Parlament, Nigel Farage: Das Austrittsabkommen habe den Brexit verwässert, er freue sich daher, „dass wir es jetzt zerreißen“.

Großbritannien war am 31. Januar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt eine Übergangsphase. Bis dahin wollen beide Seiten ihre künftigen Beziehungen regeln und vor allem ein Handelsabkommen vereinbaren.

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