Zu Asterix‘ Zeiten hatten die Gallier bekanntlich nur vor einem Angst: dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Heute geht bei vielen Franzosen die Angst vor dem Pieks um. Studien zufolge gibt es in Frankreich weltweit die meisten Corona-Impfgegner. Nach jüngsten Umfragen wollen sich bis zu 59 Prozent der Bürger nicht impfen lassen, wenn demnächst ein Mittel zur Verfügung steht.
Lina ist eine von ihnen. Die 32-jährige Künstlerin, die ihren echten Vornamen lieber nicht nennt, will sich keinesfalls gegen die Lungenkrankheit Covid-19 impfen lassen, die durch das neuartige Coronavirus verursacht wird. „Wir haben alle das Gefühl, dass man uns nicht die Wahrheit sagt“, betont sie.
„Wir“, das ist eine Gruppe verschiedenster Impfgegner, die in Frankreich seit einigen Jahren starken Zulauf hat. Darunter sind junge Mütter wie Lina, die die Furcht vor „Impfschäden“ bei ihren Babys umtreibt. Lina sagt, sie habe vor einigen Jahren einen jungen Mann getroffen, der „wegen eines Impfstoffs“ behindert sei.
Belege für diese Annahme hat sie nicht. Aber Lina hat sich nach eigenen Worten schlau gemacht: Im Internet gesurft, YouTube-Videos geschaut und mit Freunden gesprochen. Dabei hat sie gesehen, dass viele ihre Bedenken teilen oder sogar ausdrücklich vor Impfungen warnen.
Bereits Mitte 2019 ergab eine Studie, dass einer von drei Franzosen Impfstoffe für „nicht sicher“ hält. Bei Gesundheitsexperten sorgt dies nicht nur wegen der Corona-Pandemie für Unruhe. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge gehört Frankreich wie Deutschland zu rund einem Dutzend europäischen Staaten, wo die Masern endemisch sind. Das heißt, sie treten dort wieder gehäuft auf.
Während in Deutschland deshalb seit März eine Masern-Impfpflicht gilt, hat Frankreich darauf bisher verzichtet. Das gleiche Prinzip soll in der Corona-Pandemie gelten: „Ich werde die Impfung nicht verpflichtend machen“, versicherte Präsident Emmanuel Macron am Dienstag erneut. „Aber wir wollen die größtmögliche Zahl impfen lassen.“
Zwischen April und Juni plant die Regierung nach seinen Worten eine landesweite Kampagne, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sollen bereits ab Januar drankommen. Damit ab Herbst 2021 wieder „ein normales Leben“ möglich ist, müssten sich laut dem Epidemiologen Arnaud Fontanet vom Pariser Pasteur-Institut „80 bis 90 Prozent“ der Franzosen impfen lassen.
Dafür muss die Regierung einige Überzeugungsarbeit leisten. Rund 60 Prozent der Franzosen werfen Macron und seiner Regierung angesichts von mehr als 53.000 Todesfällen ein schlechtes Corona-Krisenmanagement vor.
Für den Sozialpsychologen Jocelyn Raude gibt es aber noch andere Gründe für die weit verbreitete Impfskepsis in Frankreich. Er führt das „Fiasko“ bei den Impfungen gegen die sogenannte Schweinegrippe ab 2009 an. Damals wurden Millionen Franzosen kostspielig gegen das Influenza-A-Virus H1N1 geimpft, die Warnungen der WHO vor einer Pandemie wurden aber später als übertrieben kritisiert.
Die Debatte um die Schweinegrippe rief in Frankreich prominente Impfgegner auf den Plan. Dazu gehört der Krebsspezialist Henri Joyeux, der vor einer „Impfdiktatur“ warnte und Anti-Impf-Petitionen einbrachte.
In französischsprachigen Online-Netzwerken sind aber auch krudere Impfgegner wie Thierry Casasnovas zugange. Der Rohkostesser und Fasten-Anhänger behauptet in seinen Videos, dass die Lungenkrankheit Covid-19 „nicht existiert“ und sich Krebs mit Früchten und Obst heilen lasse. Deshalb ermittelt die Justiz gegen ihn.
Aber auch Impfbefürworter sind inzwischen in Online-Netzwerken aktiv. „Die Impfgegner sind uns aber noch ein paar Längen voraus“, räumt die Gruppe „Les Vaxxeuses“ ein, die Impfungen „den größten medizinischen Fortschritt“ nennt. Die Facebook-Gruppe hat bisher 15.000 Abonnenten, Impfgegner Casasnovas folgen auf YouTube dagegen 500.000 Menschen.