Die Grünen drängen mit Einzelhandel und Wohlfahrtsverbänden auf weniger Vernichtung überschüssiger Ware und wollen insbesondere Textilhändlern das Spenden erleichtern. Das Bündnis forderte am Mittwoch die Bundesregierung auf, die Umsatzsteuer auf Sachspenden abzuschaffen. Es ergebe gerade in der Corona-Krise „keinen Sinn“, dass Händler für Spenden „noch draufzahlen“ müssten, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Das Bundesfinanzministerium kündigte einen entsprechenden „Vorschlag“ an.
In der Corona-Krise blieben insbesondere Textilhändler „auf unverkaufter Ware sitzen, die sich auch bei einer Wiederöffnung nicht oder nur schwer verkaufen lässt“, heißt es in einem gemeinsamen Aufruf der Grünen-Bundestagsfraktion, des Handelsverbands Deutschland (HDE) und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Wegen langfristiger Lieferverträge lägen bundesweit „mehrere hundert Millionen“ unverkaufter Kleidungsstücke in den Lagern.
Die Handelsverbände Textil, Schuhe und Lederwaren hatten angesichts des verlängerten Lockdowns schon im Januar beklagt, dass sich im stationären Handel eine „riesige Lawine von einer halben Milliarde unverkaufter Modeartikel“ auftürme. Gleichzeitig verschärfe die Krise die Armut im Land und Hilfsangebote der Tafeln oder kostenfreies Schulessen seien weggefallen, betonte Göring-Eckardt am Mittwoch.
Kein Händler vernichte seine Waren freiwillig, viele würden damit lieber Bedürftigen helfen, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Doch „nach den gesetzlichen Vorgaben wäre die Vernichtung von Waren oft die günstigere Alternative“. Demnach unterliegt die Spende eines Produkts ebenso wie dessen Verkauf grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht. Göring-Eckardt kritisierte, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stelle die voll abschreibungsfähige Vernichtung nach wie vor finanziell besser.
„Diese offenkundige Fehlsteuerung könnte das Bundesfinanzministerium ohne größeren Aufwand korrigieren“, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Aufruf der Initiative unter dem Motto „Spenden statt Vernichten – Lagerware für den guten Zweck“. Die Regierung müsse eine „umsetzbare und rechtssichere Möglichkeit“ schaffen, damit Kleidung – und künftig auch andere Ware – an Organisationen gespendet werden könne. Die Grünen forderten hierzu eine Verwaltungsanweisung im Rahmen des nächsten Corona-Steuerhilfegesetzes.
„Wir werden in Kürze einen Vorschlag vorlegen“, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums am Mittwoch in Berlin. Ressortleiter Scholz sei es „gerade jetzt in der Corona-Krise“ wichtig, „eine gute Lösung zu finden“. Einzelheiten zu einem möglichen Gesetzesvorhaben nannte die Sprecherin nicht.
„Mittlerweile wissen wir, dass es einen Entwurf im Finanzministerium gibt“, sagte Genth. Darin sei bislang jedoch nur eine Steuerbefreiung bis Ende 2021 vorgesehen. Der HDE-Hauptgeschäftsführer forderte, diese „Billigkeitsregelung“ auszuweiten und die Steuerpflicht auf Spenden dauerhaft abzuschaffen, so wie es bei den Spenden an die Tafeln im Lebensmittelhandel bereits der Fall sei.
„Eine dauerhafte, rechtliche Regelung“ müsse dafür sorgen, „dass Firmen spenden können, ohne dafür wirtschaftlich bestraft zu werden“, forderte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider. Er nannte die gemeinsame Initiative mit Handel und Grünen ein ungewöhnliches „Bündnis der Vernunft“ – und massenhafte Vernichtungen unverkaufter Produkte im stationären Handel sowie Retouren im Onlinehandel eine „Sünde“.
„Die Wegwerfgesellschaft wäre auf einem neuen Niveau angekommen“, sollte tatsächlich ein Milliardenwert im Textilbereich vernichtet werden, während Millionen Bedürftige Hilfen bräuchten. „Dann ist dieser Schildbürgerstreich nicht mehr komisch“, mahnte Schneider. Gleichzeitig betonte er mit Blick auf die Grundsicherung: „Eigentlich sollte unser Sozialstaat dafür Sorge tragen, dass niemand eine solche Spende braucht.“