Fast drei Jahrzehnte nach dem Völkermord in Ruanda hat eine Historikerkommission Frankreich eine politische Mitverantwortung an den Verbrechen zugewiesen. Die Wissenschaftler übergaben ihren mehr als tausend Seiten starken Bericht am Freitag in Paris an Präsident Emmanuel Macron. Darin werfen sie Frankreich „Blindheit“ und „Versagen“ vor, weil es den Genozid von 1994 nicht verhindert habe. Eine „Mittäterschaft“ bei den Tötungen lasse sich dagegen nicht nachweisen. Paris hofft nun auf eine Wiederannäherung an Kigali.
Macron hatte die Historikergruppe unter Leitung des Forschers Vincent Duclert vor zwei Jahren mit den Untersuchungen beauftragt. Dem Bericht zufolge trägt Frankreich eine „schwere und erdrückende Verantwortung“ dafür, dass ruandische Verantwortliche den Genozid verüben konnten.
Unter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand habe Frankreich „bedingungslos“ das „rassistische, korrupte und gewalttätige“ Regime des ruandischen Staatschefs Juvénal Habyarimana unterstützt, heißt es in der Untersuchung weiter. Die Historiker verweisen darauf, dass Mitterrand enge persönliche Beziehungen zu Habyarimana unterhielt und diesen mehrfach in Paris empfing.
Der Elysée-Palast äußerte nach der Übergabe des Berichts am Freitagabend die Hoffnung, dass „dieses Mal der Annäherungsprozess unumkehrbar eingeleitet werden kann“. Auch die Rückkehr eines französischen Botschafters nach Kigali „in den kommenden Monaten“ wäre ein „weiterer Schritt“ zur Normalisierung. Der Botschafterposten in Ruanda ist seit 2015 vakant.
In der früheren deutschen und belgischen Kolonie Ruanda hatten Angehörige von Habyarimanas Volksgruppe der Hutu 1994 binnen drei Monaten mindestens 800.000 Menschen getötet. Die meisten Opfer waren Angehörige der Minderheit der Tutsi, aber auch viele gemäßigte Hutu wurden getötet.
Die französische Armee war 1994 mit einem UN-Mandat in der Region. Ruanda wirft Frankreich bereits seit Jahren vor, sich durch seine Rückendeckung für die damalige Regierung an dem Völkermord mitschuldig gemacht zu haben.
Die Wissenschaftler werteten zahlreiche diplomatische Noten, Briefe und weitere vertrauliche Dokumente aus. Kürzlich hatte ein Gericht auch vorzeitig die Archive des 1996 verstorbenen Mitterrand zum Völkermord geöffnet. Eigentlich sollten die Dokumente erst ab dem Jahr 2055 zugänglich sein.
Mitte Februar war aus diesen Archiven eine diplomatische Note von 1994 bekannt geworden, nach der Frankreich Verdächtigen des Völkermords bei der Flucht half. Das Dokument belegt, dass die Regierung in Paris wusste, dass sich die Verdächtigen in der von Frankreich kontrollierten Sicherheitszone in Ruanda aufhielten, sie aber nicht festsetzen ließ.