Beim „Containern“ von Lebensmitteln ist nun die Politik gefragt

Symbolbild: Containerte Lebensmittel
Symbolbild: Containerte Lebensmittel

In Deutschland landet ein erheblicher Teil des Essens ungenutzt in der Tonne. Wer im Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln allerdings die Abfälle von Supermärkten eigenmächtig aus Containern holt, kann sich damit strafbar machen. Das Bundesverfassungsgericht betonte am Dienstag den Eigentumsschutz – auch bei „wirtschaftlich wertlosen Sachen“. Nun werden Forderungen an die Politik laut.

WORUM GING ES IN DEM RECHTSSTREIT?

Das Bundesverfassungsgericht sollte klären, ob die Mitnahme von Essen aus Müllcontainern strafbar ist. Auslöser ist der Fall der beiden Studentinnen Caro und Franzi, die von einem Supermarktgelände im bayerischen Olching Obst, Gemüse und Joghurt holten. Den verschlossenen Container öffneten sie mit einem Vierkantschlüssel. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck sprach sie deshalb im Januar wegen Diebstahls schuldig. Ihnen wurden jeweils acht Sozialstunden auferlegt sowie eine Geldstrafe von 225 Euro auf Bewährung.

Im Oktober bestätigte das bayerische Oberste Landesgericht in München das Urteil. Die Lebensmittel hätten sich im Eigentum des Supermarkts befunden, auch wenn sie entsorgt werden sollten, erklärte das Gericht. Das Urteil des Amtsgerichts war damit rechtskräftig. Dagegen legten die beiden Studentinnen, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), im November Verfassungsbeschwerde ein.

WAS SAGT DAS VERFASSUNGSGERICHT?

Die Karlsruher Richter nahmen die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine „strafbare Wegnahme einer fremden Sache“ darstelle, müssten grundsätzlich die Fachgerichte feststellen, erklärte das Bundesverfassungsgericht. Grundsätzlich dürfe der Gesetzgeber aber auch bei wirtschaftlich wertlosen Sachen das zivilrechtliche Eigentum schützen.

Im konkreten Fall sahen die Verfassungsrichter auch keinen Anlass, der Beweisführung der Fachgerichte nicht zu folgen, die die Lebensmittelabfälle weiterhin als Eigentum des Supermarktes ansahen. Diese hatten zudem darauf verwiesen, dass der Eigentümer auch ein berechtigtes Interesse daran gehabt habe, Haftungsrisiken auszuschließen – diese hätte es möglicherweise beim Verzehr der teils abgelaufenen und womöglich auch verdorbenen Ware geben können.

WIE REAGIEREN DIE BESCHWERDEFÜHRER?

Den Studentinnen und der GFF ging es in dem Rechtsstreit weniger um die milde Strafe als um eine Grundsatzfrage: Sie wollten ein Ende der Kriminalisierung des „Containers“ erreichen. Entsprechend ernüchtert reagierten sie auf die Karlsruher Entscheidung. „Wir sind vom Ausgang des Verfahrens enttäuscht, aber wir werden uns weiter gegen Lebensmittelverschwendung engagieren“, erklärten die Studentinnen Caro und Franzi. 

Ihr Appell geht nun in Richtung Politik: „Es widerspricht dem erklärten Ziel der Bundesregierung, Lebensmittelverschwendung zu stoppen, dass Menschen bestraft werden, die genießbare Nahrung vor der Entsorgung bewahren“, erklärte GFF-Vorstandsmitglied Boris Burghardt. „Wenn wir die Lebensmittel nicht aus der Tonne retten dürfen, muss es die Politik machen“, forderten die beiden Studentinnen.

WAS PLANT DIE BUNDESREGIERUNG GEGEN LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG?

Die Nationale Strategie der Bundesregierung zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zielt darauf ab, bis 2030 die Verschwendung von Lebensmitteln in Deutschland pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums entstehen rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle im Jahr, die GFF spricht von rund 18 Millionen Tonnen. Umweltverbände kritisierten hierbei allerdings in der Vergangenheit, dass die Strategie zu kurz greife und zu sehr auf Freiwilligkeit setze. 

Außerdem gibt es die Initiative „Zu gut für die Tonne“, die Verbraucher für eine höhere Wertschätzung für Lebensmittel sensibilisieren soll. Verbraucher sind außerdem dazu aufgerufen, Lebensmittel mit Bedacht einzukaufen und richtig zu lagern. Außerdem soll die Weitergabe nicht verkaufter Lebensmittel vom Handel an die Tafeln auch durch eine Online-Plattform namens Eco einfacher werden.

Die GFF sieht aber weiteren Handlungsbedarf und verweist darauf, dass es in anderen Ländern klarere Vorgaben gibt. So sind etwa in Frankreich Supermärkte seit 2016 verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden, bei Zuwiderhandlungen drohen Geldstrafen.

WIE SIEHT ES BEIM „CONTAINERN“ DERZEIT AUS?

Lauf GFF wird „Containern“ in vielen Bundesländern nicht strafrechtlich verfolgt. „Hamburgs Justizsenator zum Beispiel empfiehlt der Staatsanwaltschaft, Containerfälle einzustellen“, erklärte die Gesellschaft. In anderen Bundesländern hängt die strafrechtliche Ahndung demnach stark vom Einzelfall ab – etwa ob der Container unverschlossen an der Straße steht.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat kritisierte es nach der Verfassungsgerichtsentscheidung als „absurd“, auf der Strafbarkeit zu beharren, „insbesondere in Zeiten der Klimakrise“. Der Ball liege jetzt beim Deutschen Bundestag. 

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