Inmitten der extrem angespannten Lage in Belarus soll es am Sonntag neue Massenproteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko geben, der am Samstag die Armee in Alarmzustand versetzt hat. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja rief ihre Landsleute in einem AFP-Interview auf, „jetzt vereint weiterzumachen im Kampf für das Recht“. Die Nato wies derweil Angaben von Lukaschenko über angebliche Truppenbewegungen an der Grenze zu Belarus vehement zurück.
Lukaschenko besuchte am Samstag eine Militärbasis in Grodno im Westen des Landes nahe der Grenze zu Polen. Dabei erneuerte er seinen Vorwurf, dass die Proteste gegen ihn „von außen“ gesteuert seien. „Ich erteile dem Verteidigungsministerium die Anweisung, die striktesten Maßnahmen zu ergreifen, um die territoriale Integrität unseres Landes zu verteidigen“, erklärte der Staatschef nach Angaben seines Büros.
Nato-Truppen in Polen und Litauen seien entlang der Grenze zu Belarus „ernsthaft in Bewegung“, sagte Lukaschenko weiter. Er habe deshalb die gesamte Armee seines Landes in Alarmzustand versetzt.
Diese Angaben wurden von der Nato als „haltlos“ zurückgewiesen. „Wie wir bereits klargemacht haben, stellt die Nato keine Bedrohung für Belarus oder irgendein anderes Land dar“, erklärte Nato-Sprecherin Oana Lungescu am Samstagabend in Brüssel. Eine „militärische Verstärkung in der Region“ finde nicht statt. Die Regierung in Minsk rief die Nato-Sprecherin – offenbar mit Blick auf die seit der umstrittenen Präsidentenwahl vor zwei Wochen anhaltenden Demonstrationen – zur „uneingeschränkten Achtung“ der Grundrechte auf.
Auf Aufruf der Opposition soll es am Sonntag im ganzen Land wieder Proteste gegen den seit 26 Jahren mit harter Hand regierenden Lukaschenko geben. Mittelpunkt der Aktionen soll auch diesmal wieder die Hauptstadt Minsk sein, wo am vergangenen Wochenende mehr als 100.000 Demonstranten auf die Straße gingen. Zudem soll es als Zeichen der Solidarität am Abend in Litauen eine Menschenkette von der Hauptstadt Vilnius bis zur belarussischen Grenze geben. Die Veranstalter erwarten bis zu 50.000 Menschen. Kleinere Menschenketten sind auch in Lettland, Estland und Tschechien geplant.
In Litauen hält sich auch die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja auf, die ihre Landsleute aufrief, in ihren Protesten nicht nachzulassen. Sie sei „stolz auf die Belarussen, weil diese jetzt nach 26 Jahren der Angst bereit sind, ihre Rechte zu verteidigen“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. „Wir sind das Volk von Belarus und wir sind eine Mehrheit und werden nicht zurückweichen. Wir haben keine Angst mehr vor ihnen.“
Erneut sprach sich die 37-Jährige für einen Dialog zwischen Lukaschenko und seinen Gegnern aus: „Ich denke, er hat keine Wahl.“ Der Dialog müsse so bald wie möglich beginnen, um die Krise nicht noch zu verschärfen. Zu Lukaschenkos Äußerungen über eine Bedrohung von außen sagte Tichanowskaja, damit solle nur von den inneren Problemen des Landes abgelenkt werden.
Ähnlich äußerten sich Polen und Litauen: Die Regierung in Warschau nannte Lukaschenkos Aussagen „Regime-Propaganda“. Litauens Präsident Gitanas Nauseda sprach von „völlig haltlosen Aussagen über imaginäre äußere Bedrohungen“. „Das Regime in Minsk versucht um jeden Preis, die Aufmerksamkeit von den inneren Problemen des Landes abzulenken“, erklärte der Staatschef gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Das litauische Außenministerium kündigte zugleich für die kommende Woche einen Besuch von US-Außenstaatssekretär Stephen Biegun in Litauen und Russland an, um über die Situation in Belarus zu sprechen.