Die EU-Kommission schaut mit wachsender Sorge auf die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen. „Ich bedaure es sagen zu müssen, aber jüngste Entwicklungen haben gezeigt, dass die Situation nicht besser geworden ist“, sagte Kommissionsvize Vera Jourova am Montag im EU-Parlament. Zahlreiche EU-Abgeordnete zeigten sich in der Debatte besorgt über die Unabhängigkeit der polnischen Justiz sowie die Lage von homo- und transsexuellen Menschen in Polen.
Polen steht insbesondere wegen einer Reihe von umstrittenen Justizreformen seit Jahren in Brüssel am Pranger. Die EU-Kommission wirft der rechtsnationalen Regierung in Warschau vor, die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit von Richtern zu gefährden. Sie hat bereits eine ganze Reihe von Vertragsverletzungsverfahren und ein beispielloses Strafverfahren angestrengt.
Substanziell hat sich Jourova zufolge dadurch aber nichts geändert. Leider seien die Instrumente, die der EU-Kommission in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehen, „zahnlos“. Als sie eingeführt wurden, habe sich niemand vorstellen können, dass die Rechtsstaatlichkeit in EU-Ländern tatsächlich einmal gefährdet sein könnte.
Der spanischen EU-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Juan Lopez Aguilar, sieht die Unabhängigkeit der Justiz in Polen „geknebelt“. In einem Bericht, der diese Woche vom Parlamentsplenum verabschiedet werden soll, warnt der Spanier vor einer „ernsthaften“ Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Im Plenum sprach er von einem drohenden „Verfassungskollaps“.
Jourova und die Abgeordneten beklagte zudem zum wiederholten Mal Anfeindungen von LGBTI-Menschen in Polen. Das englische Kürzel LGBTI steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intersexuell. Eine Reihe von Gemeinden in Polen haben sich seit Anfang 2019 zu „LGBTI-freien“ Zonen erklärt. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte der knappe Wahlsieger Andrej Duda unter anderem auf Verbalangriffe auf sexuelle Minderheiten gesetzt.
Im Juli hatte die EU-Kommission unter Verweis auf Diskriminierung sechs polnischen Kommunen die Teilnahme an einem subventionierten Städtepartnerschafts-Programm der EU verwehrt. Jourova verteidigte diesen Schritt ihrer Behörde: „Ich möchte allen LGBTI-Menschen meine Unterstützung zusenden.“
In diesem Sinne warb die Tschechin auch für den geplanten Rechtsstaatsmechanismus im EU-Haushalt. Die Auszahlung von EU-Mitteln soll demnach künftig systematisch an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gebunden werden. „Wenn manche auch nicht die europäischen Werte verstehen, verstehen sie doch die Sprache des Geldes“, sagte Jourova.
Der Vorschlag steht allerdings auf der Kippe. Polen und besonders Ungarn, dass sich ähnlichen Vorwürfen aus Brüssel ausgesetzt sieht, drohen mit einer Blockade des Haushaltsvorschlags, mit dem auch der milliardenschwere Corona-Aufbauplan verknüpft ist.