Seit Jahren versucht die EU, ihr Asylsystem zu reformieren. Bisher ohne Erfolg. Am Mittwoch will die EU-Kommission mit einem „Pakt zu Migration und Asyl“ einen neuen Anlauf unternehmen. Der Ansatz scheint radikal: Brüssel will die geltenden Dublin-Regeln abschaffen. Doch die Probleme bleiben die alten – die Erfolgsaussichten sind damit entsprechend ungewiss. Ein Überblick:
Worauf beruht das aktuelle EU-Asylsystem?
Das sogenannte Dublin-System wurde 1990 eingeführt und 2003 und 2013 aktualisiert. Derzeit gilt die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Ziel ist es, die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Bearbeitung von Asylanträgen festzulegen. Hauptkriterium ist dabei, in welchem Land der Asylbewerber zuerst europäischen Boden betreten hat. Dies wäre in der Regel ein Land an den EU-Außengrenzen, sofern die Asylbewerber nicht per Flugzeug kommen.
Warum funktioniert Dublin nicht?
Die Flüchtlingskrise vor fünf Jahren hat gezeigt, dass Länder an den Außengrenzen wie Italien oder Griechenland vollkommen überfordert waren, als in kurzer Zeit hunderttausende Menschen über das Mittelmeer nach Europa kamen. Dies führte dazu, dass sie die Asylbewerber nicht mehr registrierten, sondern dass diese einfach in andere EU-Länder wie Deutschland „durchgewunken“ wurden.
Weshalb fruchteten Reformversuche nicht?
Seit 2015 gab es immer wieder Versuche, Dublin zu reformieren. Knackpunkt war immer die Verteilung von Flüchtlingen auf die anderen EU-Staaten zur Entlastung der Länder an den Außengrenzen. Osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen weigerten sich kategorisch, Migranten aufzunehmen.
Was plant die EU-Kommission?
Zumindest symbolisch will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen harten Schnitt. Vergangene Woche verriet sie, dass ihre Behörde Dublin nicht mehr reformieren, sondern „abschaffen“ will. „Wir werden es durch ein neues europäisches System zur Migrationssteuerung ersetzen“, sagte sie. Dieses werde „gemeinsame Strukturen zu Asyl und Rückführungen“ haben und „einen neuen starken Solidaritätsmechanismus“ beinhalten.
Wie soll der Solidaritätsmechanismus aussehen?
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kündigte am Wochenende einen „verpflichtenden Solidaritätsmechanismus“ zur Entlastung der Hauptankunftsländer an. Sie will gleichzeitig die Zahl der Abschiebungen von Migranten erhöhen, die kein Recht auf Asyl bekommen. „Alle Mitgliedstaaten müssen helfen, wenn andere unter Druck sind“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Dies müsse aber nicht zwangsläufig die Aufnahme von Flüchtlingen bedeuten. EU-Länder könnten auch Hilfe bei Abschiebungen leisten, indem sie etwa Beamte dafür stellten.
Ist das neu?
Nicht grundsätzlich. Während ihrer EU-Ratspräsidentschaften 2016 und 2018 hatten die Slowakei und Österreich ähnliche Konzepte der „flexiblen“ oder „verpflichtenden“ Solidarität vorgeschlagen. Obwohl beide Länder zum Lager der Gegner einer Flüchtlingsverteilung zählen, führten die Vorschläge nicht zum Erfolg. Johansson räumt ein, dass auch ihre Asylreform „eine schwierige Aufgabe“ werde.
Müsste die Asylreform einstimmig beschlossen werden?
Nein. Es würde eine qualifizierte Mehrheit reichen – also 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Doch die Erfahrungen mit solchen Mehrheitsbeschlüssen sind schlecht. 2015 setzte unter anderem Deutschland eine solche Entscheidung durch, um über zwei Jahre 120.000 Flüchtlinge in der EU zu verteilen. Länder wie Ungarn und Polen nahmen keinen einzigen auf – und kamen ohne Strafen davon.
Werden Pläne für EU-Flüchtlingslager Teil der Reform sein?
Möglicherweise. Nach dem verheerenden Brand im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos kündigte von der Leyen an, Pläne zur Beteiligung der EU an der Verwaltung solcher Zentren „eng an die Überlegungen in dem neuen Migrationspakt“ zu koppeln.
Was hält die Bundesregierung von solchen Überlegungen?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CSU) sieht in von der EU mitverwalteten Lagern ein mögliches „Pilotprojekt“, um die Flüchtlingspolitik stärker europäisch auszurichten. Tatsächlich könnte das Vorhaben eine Etappe bei der Umsetzung der Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sein, Asylverfahren in Zentren an den EU-Außengrenzen vorzunehmen.