Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist im Maut-Untersuchungsausschuss durch Aussagen der Betreiberfirmen schwer belastet worden. Entgegen früherer Angaben Scheuers im Bundestag beteuerten die Chefs der Betreiberfirmen in der Sitzung am Donnerstag, sie hätten dem Minister Ende 2018 angeboten, mit der Unterzeichnung der milliardenschweren Mautverträge bis zum entscheidenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu warten. Scheuer habe dies jedoch abgelehnt und auf eine schnelle Einführung der Maut gedrängt.
Das Angebot für eine spätere Vertragsunterzeichnung sei bei einem Treffen in Bundesverkehrsministerium mit den Chefs der Betreiberfirmen am 29. November 2018 erfolgt, sagte Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandsvorsitzender von CTS Eventim. Scheuer habe jedoch deutlich gemacht, dass im Ministerium verschiedene Gutachten vorlägen, die die Maut „einhellig und glasklar“ als konform mit europäischem Recht erklärten.
„Er lehnte es entschieden ab, mit der Unterzeichnung des Vertrags auf den EuGH zu warten“, sagte Schulenberg. Scheuer drängte stattdessen auf eine Einführung der Maut noch im Jahr 2020.
Der Vorstandsvorsitzende der österreichischen Betreiberfirma Kapsch TrafficCom, Georg Kapsch, bestätigte diese Schilderungen. Bei dem Treffen mit Scheuer vom November 2018 sei es vor allem um den hohen Preis für das Maut-Angebot der Betreiber gegangen. Schulenberg habe Scheuer „das Angebot gemacht, wenn wir Zeit brauchen, dann können wir eigentlich gleich auf das EuGH-Urteil warten. Das hat der Minister abgelehnt.“
Scheuer hatte im Bundestag im vergangenen Jahr betont, er habe von den Betreiberfirmen kein Angebot für eine spätere Unterzeichnung der Mautverträge bekommen. Scheuer sollte noch am Donnerstagabend im Untersuchungsausschuss aussagen. Die Befragung verzögerte sich allerdings deutlich, da auf Veranlassung der Union kurzfristig der frühere Staatssekretär im Verkehrsministerium, Gerhard Schulz, den Abgeordneten als Zeuge geladen wurde; Schulz sollte noch vor Scheuer aussagen.
Der EuGH hatte die deutsche Pkw-Maut überraschend im Juni 2019 gekippt. Noch am selben Abend veranlasste Scheuer die Kündigung der Verträge mit den Betreibern. Das Ministerium begründete den Schritt mit Mängeln bei der Projektumsetzung.
Im Untersuchungsausschuss betonten sowohl Schulenberg als auch Kapsch, es habe keine Probleme gegeben. Auch Scheuer habe bis zum EuGH-Urteil keine Schwierigkeiten gegenüber den Betreibern angesprochen.
Dies bestätigte auch der Geschäftsführer der Gemeinschaftsfirma Autoticket, Volker Schneble, bei dem die Fäden der Betreiberfirmen zusammenliefen. Vielmehr habe Scheuer nach dem Scheitern der Maut vor dem Europäischen Gerichtshof im Juni 2019 „spontan und politisch motiviert“ gehandelt, sagte Schneble vor dem Untersuchungsausschuss.
„Das Projekt Pkw-Maut ist aus unserer Sicht gut gestartet und bis zum Ende auch gut verlaufen“, sagte Schneble. Die Kündigung der Verträge durch Scheuers Ministerium nach dem EuGH-Urteil sei eine „Kurzschlussreaktion“ gewesen.
Die Opposition sah sich in ihrem Verdacht gegen Scheuer bereits vor Abschluss der Sitzung bestätigt. Die Aussage von CTS-Eventim-Chef Schulenberg habe Scheuer „komplett versenkt“, sagte FDP-Obmann Christian Jung. „Das lässt einen atemlos zurück.“
Grünen-Politiker Stephan Kühn sah durch die Aussage „bestätigt“, dass Scheuer entgegen eigenen Angaben ein „Angebot“ von den Betreibern zur späteren Vertragsunterzeichnung erhalten habe. Es sei „klar“, dass Scheuer im Bundestag „nicht die Wahrheit gesagt“ habe. Die Linkspartei forderte die Entlassung Scheuers.
Die Union stellte sich dagegen hinter den Minister und bezeichnete die Zeugenaussagen als „enttäuschend und dünn“. Schulenberg sei „sehr sehr viele Fragen schuldig geblieben“, sagte der Obmann der Unionsfraktion im Untersuchungsausschuss, Ulrich Lange (CSU). Er wolle Schulenberg an einem anderen Tag zu einer weiteren Sitzung des Untersuchungsausschusses laden.