Wahlrechtsreform: „Geschenkte“ Sitze für die Union und begrenzter Effekt bei der Mandatszahl

Symbolbild: Reichstag/Bundestag
Symbolbild: Reichstag/Bundestag

Jahrelang haben die Parteien über eine Wahlrechtsreform gestritten, um eine weitere Vergrößerung des Bundestags zu verhindern – nun wird abgestimmt: Am Donnerstagabend geben die Abgeordneten ihr Votum ab zu dem Vorschlag, auf den sich Union und SPD nach langem Gezerre geeinigt hatten. Der Streit geht derweil unvermindert weiter, denn die Opposition lässt an dem Koalitionsvorschlag kein gutes Haar.

Was ist das Problem?

Schon jetzt ist der Bundestag wesentlich größer, als er sein soll. Statt der gesetzlich vorgesehenen 598 zählt das Parlament derzeit 709 Mitglieder. Nach der nächsten Wahl könnten es noch mehr werden. Das liegt vor allem an den Überhang- und Ausgleichsmandaten.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Bundestag bringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen würden. Damit die Überhangmandate das Zweitstimmenergebnis nicht verzerren, bekommen die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate.

Welche Lösung schlagen Union und SPD für 2021 vor?

Drei Überhangmandate sollen nicht mehr ausgeglichen werden. Da nach jetzigem Stand voraussichtlich CDU und CSU diese Mandate erhalten dürften, würden sie also drei Sitze im Bundestag mehr erhalten, als ihrem Anteil an den Zweitstimmen entsprechen würde. Dies soll auch über 2021 hinaus dauerhaft gelten.

Zudem wollen Union und SPD den komplizierten Verrechnungsmodus einschränken, der bislang über so genannte Sitzkontingente dafür sorgt, dass Überhangmandate nicht den Länderproporz bei der Mandatsverteilung zu sehr beeinflussen. 

Welche Lösung plant die Koalition längerfristig?

Zum 1. Januar 2024 – also rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2025 – soll die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 280 sinken. Dies soll bereits jetzt festgeschrieben werden. Die Zahl der Überhangmandate dürfte sich dadurch noch einmal etwas verringern.

Zudem soll noch in der laufenden Wahlperiode eine Kommission eingesetzt werden, die bis Mitte 2023 Vorschläge für weitere Reformschritte vorlegen soll, etwa für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sowie Maßnahmen zugunsten einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern im Bundestag.

Was ist die Haltung der Opposition?

FDP, Linke und Grüne kritisieren eine Verzerrung des Wahlergebnisses, weil die Mandatszahl nicht mehr das Zweitstimmenergebnis widerspiegelt. Die Änderung oder Abschaffung des Verrechnungsverfahrens für den Länderproporz wird zwar auch von ihnen befürwortet, sie wollen dies aber mit einer stärkeren Verringerung der Zahl der Wahlkreise schon ab 2021 verbinden.

Ein gemeinsamer Gesetzentwurf der drei Oppositionsfraktionen sieht eine Wahlkreiszahl von 250 vor, was die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten deutlich stärker verringern würde als das Vorhaben der Koalition.

Die AfD schlägt stattdessen eine Deckelung der Zahl der Direktmandate vor. Eine Partei soll nur noch so viele Direktmandate pro Bundesland erhalten, wie es ihrem Zweitstimmenanteil dort entspricht – einige Wahlkreisgewinner kämen also nicht zum Zuge. Eine solche Kappung hatte auch die SPD als Übergangslösung ins Gespräch gebracht, die Union lehnte dies jedoch ab.

Was sagen Experten zu dem Koalitionskonzept?

In einer öffentlichen Anhörung am Montag im Innenausschuss wurden deutliche Zweifel laut. So urteilte der Politikwissenschaftler Joachim Behnke, die weitere Vergrößerung des Bundestags 2021 werde wahrscheinlich nicht verhindert. Auch der Rechtswissenschaftler Ulrich Vosgerau befand, der Effekt werde in dieser Hinsicht wohl „absolut minimal, wahrscheinlich gar nicht vorhanden“ sein.

Mit Blick auf die ausgleichslosen Überhangmandate äußerte Behnke die Auffassung, dies sei verfassungswidrig. Die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger wiederum kritisierte, dem Entwurf mangele es an „Bürgerverständlichkeit“.

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