Eigentlich ist Franziska Giffey ein echter Aktivposten für die SPD. Sie beherrscht den politischen Auftritt und setzt gekonnt Themen wie Kinderbetreuung, Familienpolitik und Gleichberechtigung. Die Berliner SPD hat sie nun mit starken 89 Prozent der Stimmen als Teil einer Doppelspitze mit Fraktionschef Raed Saleh zur Berliner SPD-Landeschefin gewählt. Doch Giffey hat größere Pläne: Sie will die erste Regierende Bürgermeisterin der Hauptstadt werden.
Erneut macht ihr jedoch die Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit zu schaffen, und so geht die Hoffnungsträgerin der SPD mit einem echten Makel ins Rennen um das Rote Rathaus.
Neu ins Rollen kam die Affäre um ihre Doktorarbeit durch die jüngste Ankündigung der Freien Universität Berlin, die wissenschaftliche Expertise ein weiteres mal unter die Lupe zu nehmen. Im Herbst 2019 hatte sich die Hochschule gegen eine Aberkennung des Doktortitels entschieden und es bei einer Rüge belassen. Eine solche komme aber allenfalls in einem minderschweren Fall infrage, der nicht dargelegt sei, hieß es zur Begründung des Meinungsumschwungs bei der Universität.
Als Reaktion auf die erneute Prüfung erklärte Giffey, ihren Doktortitel nicht mehr führen zu wollen. Sie sei nicht bereit, das neue Prüfverfahren zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung zu machen.
Im August vergangenen Jahres hatte sie noch angekündigt, dass sie ihr Ministeramt im Fall einer Aberkennung des Doktortitels niederlegen werde. Bis Ende Februar 2021 will die Freie Universität Berlin in dem Fall entscheiden.
Die neue Unsicherheit kommt für Giffey zur Unzeit. Als neue Landesvorsitzende und designierte Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 steht ihr ein langer Weg bevor. Die politische Konkurrenz machte bereits klar, dass sie nichts von Giffeys Titelverzicht hält. Während sich die Berliner SPD in seltener Geschlossenheit hinter ihre neue Vorsitzende stellte, kamen aus Union und Opposition Rücktrittsforderungen.
Mit dem Chefsessel in Berlins Rotem Rathaus könnte die umtriebige Ministerin ihr politisches Überleben sichern. Denn derzeit sieht es nicht danach aus, als würde die SPD im Bund nach der Bundestagswahl an der Regierung bleiben. Doch mit dem wichtigen Posten der Hauptstadtbürgermeisterin bliebe die 42-Jährige in der ersten Reihe – und behielte damit die Option, auch im Bund später wieder mitzumischen.
Schließlich wird die Politologin immer wieder genannt, wenn es darum geht, der schwächelnden SPD auf die Beine zu helfen. So war sie im vergangenen Jahr für den SPD-Bundesvorsitz im Gespräch, winkte aber wegen der Prüfung ihrer Doktorarbeit ab.
Giffey, die sich mit ihrem Kostüm-Look samt Steckfrisur stets eine konservative Note verleiht, war eine bundespolitische Seiteneinsteigerin, als sie im März 2018 ins Bundesfamilienministerium kam. Bis dahin arbeitete sie als Bürgermeisterin im Berliner Problembezirk Neukölln – und machte durch ihre zupackende Art von sich reden. Auf der bundespolitischen Bühne fand sie sich schnell zurecht, so stieg sie zur Hoffnungsträgerin bei den Sozialdemokraten auf.
Doch neben dem Ungemach um ihre Doktorarbeit bekam sie noch mit einer zweiten Affäre zu tun. Ihr Mann verlor im vergangenen Jahr seinen Beamtenjob beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, weil er seine Arbeitszeiten falsch erfasst und Dienstreisen abgerechnet hatte, die es gar nicht gab. In 54 Fällen hatte er laut einem Gerichtsurteil „Falscheintragungen in den Arbeitszeitbögen“ vorgenommen. Zu den Vorwürfen gegen ihren Mann schwieg Franziska Giffey, die Mutter eines 2009 geborenen Sohns ist, bislang beharrlich.
Auch wenn es Giffey gelingt, Ruhe in ihre privaten Turbulenzen zu bekommen, könnten sie den Wahlkampf belasten. Doch die Berliner SPD kann sich eigentlich keine angreifbare Spitzenkandidatin leisten. Schließlich muss diese die Landes-SPD aus dem Meinungstief holen. Derzeit liegen die Berliner Sozialdemokraten mit deutlich unter 20 Prozent abgeschlagen hinter CDU und Grünen. Da ist eine Kandidatur Giffeys alles andere als ein Selbstläufer.