Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich angesichts der Lage des Rechtsstaats in einigen EU-Ländern besorgt über die grenzüberschreitende Strafverfolgung gezeigt. „Der europäische Haftbefehl ist ein höchst effizientes Instrument, mit dem wir europaweit nach Terrorverdächtigen fahnden können“, sagte Lambrecht am Mittwoch nach einer Videokonferenz mit EU-Kollegen. „Aber wo rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten werden, werden schnelle Überstellungen von Tätern schwierig oder unmöglich“.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Juli 2018 erstmals entschieden, dass EU-Staaten einen europäischen Haftbefehl nicht vollstrecken müssen, wenn die Tatverdächtigen im ausstellenden Land kein faires Verfahren erwartet. Im konkreten Fall ging es um Polen, dessen Regierung seit Jahren vorgeworfen wird, systematisch die Unabhängigkeit der Gerichte zu untergraben.
Ein niederländisches Gericht will deswegen sogar polnische Haftbefehle grundsätzlich nicht mehr ausführen. Die endgültige Entscheidung der Luxemburger Richter steht hier noch aus.
„Wo das Vertrauen in unabhängige Gerichte fehlt, ist die gegenseitige Anerkennung von Justizentscheidungen nicht mehr möglich“, sagte Justizministerin Lambrecht. „Das Vertrauen, dass rechtsstaatliche Standards überall eingehalten werden, muss wieder hergestellt werden.“ Das habe auch „ein ganz überwiegender Teil“ der Justizminister bei der Videokonferenz am Mittwoch deutlich gemacht.
Neben Polen steht vor allem auch Ungarn wegen umstrittener Justizreformen in der EU seit Jahren am Pranger. Ein Bericht der EU-Kommission zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten bewertete darüber hinaus auch die Unabhängigkeit der Justiz in Bulgarien, Rumänien, Kroatien und der Slowakei als nicht einwandfrei.
Wegen des Streits um die Rechtsstaatlichkeit steht die EU derzeit vor einer massiven Krise. Polen und Ungarn blockieren wegen Plänen, die Auszahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen, die Annahme des nächsten mehrjährigen EU-Haushalts und des Corona-Hilfsfonds. Ohne eine baldige Einigung gilt ab dem 1. Januar ein Nothaushalt, der massive Einschnitte bei europäischen Geldern für alle Mitgliedstaaten bedeutet.