Urteil in Prozess um Anschlag auf Synagoge von Halle erwartet

Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit
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Die Bundesanwaltschaft nannte die Tat einen „der widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg“. Im Prozess um den Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale wird nach fünf Monaten Verhandlung am Montag das Urteil gegen Stephan B. gesprochen. Ihn erwartet eine lebenslange Freiheitsstrafe. Für die Nebenkläger, von denen sich viele zur Tatzeit in der Synagoge befanden, findet damit zumindest die juristische Aufarbeitung des Anschlags ein Ende.

Vor mehr als einem Jahr, am 9. Oktober 2019, hatte Stephan B. versucht, schwerbewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen. Dort hielten sich 51 Menschen auf, um den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu feiern. Das Argument von B., er habe nicht gewusst, ob sich überhaupt Menschen in der Synagoge befanden, halten die Ankläger für unglaubwürdig.

Der 28-Jährige ging nach Ansicht der Bundesanwaltschaft „planvoll und zielgerichtet“ vor. Er baute Waffen und Sprengsätze nach Anleitungen aus dem Internet und spähte die Synagoge im Vorfeld aus. B. habe eine „möglichst große Anzahl von Menschen töten“ wollen, sagte Bundesanwalt Kai Lohse in dem Prozess. „Er handelte aus einer rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus.“

Stephan B. scheiterte an der massiven Holztür, die auf das Synagogengelände führt. Dies stoppte ihn aber nicht. Der 28-Jährige tötete eine auf der Straße vorbeilaufende 40-jährige Frau. Als er wenig später in einem Dönerimbiss einen 20-jährigen Handwerker erschoss, hatte er eigentlich Migranten im Visir und nicht Kevin S., der sein Mittagessen holen wollte.

Auf seiner anschließenden Flucht durch den Saalekreis verletzte B. zwei weitere Menschen schwer, bis er schließlich nach einem Unfall festgenommen werden konnte. Dass andere Menschen mit dem Leben davon kamen, ist wohl nur der Tatsache zu verdanken, das B.s Sprengsätze ihr Ziel verfehlten und seine Waffen mehrfach Ladehemmungen hatten. 

Seine Taten übertrug und kommentierte Stephan B. live ins Internet. Er erhoffte sich davon eine große Öffentlichkeit und mögliche Nachahmer. Das Video und auch die von ihm verfassten antisemistischen und rassistischen Schriften waren im Prozess wichtige Beweismittel. B. selbst räumte die Taten weitgehend ein. Echte Reue zeigte er in der Verhandlung allerdings nicht.

Zahlreiche der mehr als 40 Nebenkläger, darunter Hinterbliebene der Opfer sowie Menschen, auf die B. schoss, und Mitglieder der jüdischen Gemeinde, waren an fast jedem Prozesstag im Gericht. Sie wollten Aufklärung darüber, wie es zu dieser Spur von Hass und Gewalt kommen konnte, die B. durch Halle zog. Der Prozess konnte nicht all diese Fragen beantworten. 

B. gilt als Einzeltäter, er führte ein sozial isoliertes Leben und hatte nach eigener Aussage keine Freunde. Laut Bundesanwaltschaft entwickelte er bereits in seiner Jugendzeit eine rechtsgerichtete Gesinnung, viele Nebenkläger machen zudem B.s Familie mitverantwortlich. Der Angeklagte fand Gleichgesinnte für seinen Antisemitismus, seine Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien im Netz und erwartete dort auch Anerkennung für seine Taten.

Ein psychiatrisches Gutachten attestierte B. zwar eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit autistischen Zügen. Gleichwohl sei dieser voll schuldfähig. Die Verteidigung zog dies in ihrem Plädoyer am vorletzten Prozesstag in Zweifel. Sie hält ihn vor allem aufgrund seiner erheblichen sozialen Defizite für vermindert schuldfähig.

Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer neben lebenslanger Haft die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren unwahrscheinlich macht. Zudem beantragten die Ankläger die anschließende Sicherungsverwahrung. Stephan B. indes zeigte sich bis zuletzt uneinsichtig. Selbst in seinem letzten Wort vor Gericht leugnete er den Holocaust, bevor ihm die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens das Wort abschnitt.

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