Mit der Forderung nach einem Umbau der Schuldenbremse hat Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Dienstag das politische Berlin überrascht. Er fordert, in den nächsten Jahren in begrenztem Umfang mehr Neuverschuldung zuzulassen als eigentlich vorgesehen. Brauns Parteikollegen reagieren mit klarer Ablehnung – in der Unionsfraktion sei das „keine mehrheitsfähige Position“, sagt der Vorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU). Unterstützung kommt hingegen von den Grünen.
„Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, konstatierte Braun in einem Beitrag für das „Handelsblatt“. Für 2020 und 2021 war eine Ausnahmeregelung genutzt worden – dies will der Kanzleramtschef aber nicht fortschreiben, weil so ein „Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel“ geöffnet werde.
Stattdessen sei es sinnvoll, „eine Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland mit einer Grundgesetzänderung zu verbinden, die begrenzt für die kommenden Jahre einen verlässlichen degressiven Korridor für die Neuverschuldung vorsieht und ein klares Datum für die Rückkehr zur Einhaltung der Schuldenregel vorschreibt“, schrieb Braun. Der zusätzliche Verschuldungsspielraum solle es ermöglichen, finanzielle Zusatzbelastungen für Bürger und Unternehmen zu verhindern.
„Es ist eine Sache, die uns auch irritiert hat“, kommentierte Brinkhaus den Vorschlag. Dieser sei eine „persönliche Meinungsäußerung“, wie sie jedem zustehe. Die Fraktion bleibe aber auf ihrer „ordnungspolitischen Linie“, sagte Brinkhaus in Berlin. Auch der haushaltspolitische Sprecher Eckhardt Rehberg (CDU) erklärte, die Fraktion „hält an der Schuldenbremse im Grundgesetz fest“.
Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte in der Fraktionssitzung am Dienstag laut Teilnehmern: „Sollten Regierungsmitglieder es für erforderlich halten, die Verfassung ändern zu wollen, sollten sie dies in Zukunft mit Partei und Fraktion abstimmen.“ So etwas „kann man nicht mal so eben machen“. Die Schuldenbremse solle erhalten bleiben.
Eine klare Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab es am Dienstag nicht. Ihr Sprecher Steffen Seibert sagte dem „Spiegel“ lediglich: „Das ist ein persönlicher Meinungsbeitrag.“ Nach AFP-Informationen äußerte sie sich auch in der Fraktionssitzung nicht zu dem Thema.
Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) äußerte sich zunächst nicht zu Brauns Vorstoß. Er hatte bislang dafür plädiert, die Schuldenbremse ab 2022 wieder einzuhalten. Laut Parteitagsbeschluss will die SPD allerdings die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form „perspektivisch überwinden“.
FDP-Chef Christian Lindner urteilte, Brauns Vorschlag habe „den Charakter einer finanzpolitischen Kapitulation“. „Wir werden nicht die Verfassung schleifen, um Politik auf Pump zu perpetuieren.“
„Helge Braun hat recht: Die Schuldenbremse ist so künftig nicht mehr einzuhalten“, sagte hingegen Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwochsausgaben). Sie sei „gespannt, ob die Union den Mut hat, sich zu bewegen“.
Unterstützung kam auch vom Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck. „Gut, dass das Kanzleramt und Helge Braun den Mut finden, die Wahrheit auszusprechen, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Statt Kreditaufnahme einfach generell zu erlauben, sollten wir sie auf Nettoinvestitionen beschränken, die das öffentliche Vermögen und unseren Wohlstand erhöhen“, betonte Habeck zugleich.
Linke-Chefin Katja Kipping sagte der „Welt“, die Schuldenbremse sei vor allem eins: „Eine Investitionsbremse und damit volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Sie gehört entsorgt.“ Was Braun vorschlage, sei zwar besser „als der bisherige Schuldenbremsen-Fetischismus der Union“, reiche aber nicht.