Der künftige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist kein Konsens-Kandidat: Erst im zweiten Wahlgang einigten sich die Mitgliedsstaaten des Gerichts am Freitag in New York auf den britischen Menschenrechtsanwalt Karim Khan. Der 50-Jährige wird im Juni die Nachfolge der bisherigen Chefanklägerin Fatou Bensouda antreten. Khan setzte sich in der zweiten Abstimmungsrunde mit 72 von 122 abgegebenen Stimmen gegen drei Konkurrenten durch.
In der ersten Runde erreichte Khan keine Mehrheit, sondern landete nur knapp vor dem Iren Fergal Gaynor. Dieser hatte bereits in mehreren Verfahren vor dem IStGH Opfer vertreten, etwa bei Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in Afghanistan sowie in einem Verfahren gegen den kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta, das aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde.
Der Brite Khan hatte zuletzt eine UN-Untersuchungskommission zu den Verbrechen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) geleitet, in der er auf einen Prozess nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher gedrängt hatte. Außerdem vertrat Khan in der Vergangenheit den Sohn des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi, Seif al-Islam. Khan wurde für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt.
Im Juni wird er die derzeitige Chefanklägerin Bensouda ablösen. Diese hatte durch ihre Arbeit unter anderem den Zorn Washingtons auf sich gezogen. Wegen Ermittlungen gegen US-Soldaten wegen möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan hatte die US-Regierung Anfang September Sanktionen gegen sie und den Leiter der Abteilung für Gerichtsbarkeit, Komplementarität und Zusammenarbeit, Phakiso Mochochoko, bekannt gegeben.
Zu den ersten Aufgaben des neuen Chefanklägers zählt daher, über die nächsten Schritte in den Afghanistan-Ermittlungen zu entscheiden. Ebenfalls für Streit sorgten Ermittlungen des Gerichtshofs zum israelisch-palästinensischen Konflikt im Gazastreifen 2014. Israel und die USA haben gegen die Nachforschungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen israelischer Soldaten und bewaffneter palästinensischer Gruppen protestiert. In der vergangenen Woche erklärten die Richter in Den Haag jedoch ihre Zuständigkeit in den palästinensischen Gebieten für gegeben. Der Entscheidung waren fünfjährige Vorermittlungen auf Initiative Bensoudas vorausgegangen.
Der neue US-Präsident Joe Biden hatte angedeutet, dem Gericht weniger konfrontativ begegnen zu wollen. Ob er die Sanktionen gegen Bensouda aufheben wird, ließ er allerdings bisher offen.
Der im niederländischen Den Haag ansässige Internationale Strafgerichtshof ahndet Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er nahm seine Tätigkeit 2002 auf. Mächtige Staaten wie die USA, China und Russland gehören dem Strafgerichtshof nicht an. Zudem wird der IStGH kritisiert, die meisten seiner Ermittlungen bisher zu Konflikten in ärmeren Staaten in Afrika geführt zu haben.