Sie haben alles versucht: Einschüchterung, Repressalien, Gewalt und vermutlich sogar einen Giftanschlag. Und trotzdem haben die Herrscher im Kreml Alexej Nawalny nicht zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil: Am Sonntag protestierten in ganz Russland erneut unzählige Menschen gegen Präsident Wladimir Putin. Sie folgten einem Aufruf Nawalnys, den die Behörden nun offenbar für mehrere Jahre ins Gefängnis sperren und damit mundtot machen wollen.
Bei der entscheidenden Anhörung am Dienstag ist ein umstrittenes Gerichtsverfahren von 2014 der offizielle Anlass. Unter dem Vorwurf der Unterschlagung war Nawalny damals zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, allerdings wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Die russische Strafvollzugsbehörde (FSIN) hat nun eine Rücknahme der Bewährung beantragt, weil der Kreml-Kritiker gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Sollte die Bewährung gestrichen werden, gilt wieder die Gefängnisstrafe. Da Nawalny einen Teil der Strafe bereits im Hausarrest abgesessen hat, drohen ihm laut seinem Anwalt noch etwa zweieinhalb Jahre Haft.
Und nicht nur die FSIN will Nawalny wieder dauerhaft im Gefängnis wissen. Einen Tag vor der entscheidenden Anhörung unterstützte die russische Staatsanwaltschaft ausdrücklich die Gefängnisstrafe. Der FSIN-Antrag sei „legal und berechtigt“, hieß es in einer eigens veröffentlichten Erklärung. Dies ist nach Ansicht von Beobachtern ein untrügliches Zeichen, dass der Kreml Nawalny unbedingt wegsperren will, zu mächtig ist sein Einfluss inzwischen geworden.
Gegen seine Festnahme gab es am Sonntag bereits das zweite Wochenende in Folge Massenproteste. Die ersten Demonstrationen hatten nur wenige Tage nach seiner Festnahme stattgefunden. Und obwohl bereits da nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info mehrere tausend Menschen festgenommen wurden, gingen die Menschen am vergangenen Sonntag erneut gegen Putin auf die Straße. Wieder wurden mehr als 5000 Demonstranten festgenommen, nach Angaben von OWD-Info so viele wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes.
Das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte sehen die Anhänger Nawalnys als Zeichen der Angst vor dem 44-Jährigen, obwohl dieser bereits im Gefängnis sitzt. Gleich nach seiner Rückkehr aus Deutschland in sein Heimatland am 17. Januar war der Kreml-Kritiker festgenommen und im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Es war eine von bereits mehreren kürzeren Haftstrafen gegen Nawalny, lange Zeitstrecken wie die nun drohenden zweieinhalb Jahre war er aber noch nie im Gefängnis.
Die Festnahme direkt am Moskauer Flughafen hatten die russischen Behörden übrigens auch schon mit Verstößen gegen Bewährungsauflagen begründet: Nawalny sei unter anderem während seines Aufenthalts in Deutschland seiner Pflicht nicht nachgekommen, sich zweimal monatlich bei den Behörden zu melden. In Deutschland war der 44-Jährige nach einem Giftanschlag behandelt worden, durch den er beinahe getötet worden wäre und für den er den Kreml verantwortlich macht.
Und auch wenn Nawalny am Dienstag wirklich zu der Gefängnisstrafe verurteilt werden sollte, dann steht dahinter nach Ansicht seiner Anhänger niemand anderes als Putin. Doch sie wollen sich nicht einschüchtern lassen: Für Dienstag hat Nawalnys Team die Menschen aufgerufen, sich vor dem Bezirksgericht in Moskau zu versammeln, in dem die Verhandlung gegen Nawalny stattfinden soll.