Es ist eine umstrittene Mission: Am Donnerstagabend beginnt Europas Chefdiplomat Josep Borrell einen mehrtägigen Besuch in Moskau. Eigentlich wollte er dort Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem schwierigen Nachbarn ausloten. Doch nun wird die Reise von dem harten Vorgehen der russischen Regierung gegen den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny überschattet – und einem EU-Streit über deshalb geforderte Sanktionen.
Borrells Besuch ist der erste eines EU-Außenbeauftragten in Moskau seit 2017. In Europas Hauptstädten gibt es durchaus die Sorge, dass Präsident Wladimir Putin die Visite als Signal darstellen werde, dass die EU trotz Nawalny zur Normalität zurückkehren wolle.
Borrell betonte, er werde dem Kreml „klare Botschaften“ überbringen. Den Besuch wegen Nawalny abzusagen, lehnte er ab. „Gerade wenn die Dinge nicht so gut laufen, muss man sich engagieren“, sagte der frühere spanische Außenminister.
Tatsächlich gibt es bei dem Besuch bis Samstag viel zu bereden. Die Beziehungen zwischen Russland und der EU sind seit der Annexion der Krim 2014 und der Ukraine-Krise zerrüttet. Hinzu kommt Moskaus Rolle in den Konflikten in Belarus, Syrien oder Libyen, die sich klar gegen EU-Interessen richtet.
Borrell will zudem die russische Bereitschaft zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran ausloten. Die EU sieht die Chance, die Vereinbarung unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden zu retten, nachdem diese von dessen Vorgänger Donald Trump aufgekündigt worden war. Russland könnte dabei als traditioneller Verbündeter Irans eine wichtige Rolle zukommen.
Doch die Verurteilung Nawalnys am Dienstag zu fast drei Jahren Haft und die Festnahme tausender Demonstranten dominiert nun die Visite. Am Mittwoch stritten die EU-Regierungen stundenlang über eine gemeinsame Erklärung zu Moskaus Vorgehen gegen Nawalny. Sie enthielt dann zwar die erneute Forderung nach einer sofortigen Freilassung des Oppositionspolitikers, aber keine direkte Drohung mit Sanktionen.
Der Kreml hat klargemacht, dass sich Borrell in Sachen Nawalny keine Illusionen machen sollte. „Wir hoffen, dass es so einen Unsinn wie die Verknüpfung der Perspektiven der Beziehungen zwischen Russland und der EU mit dem Insassen eines Haftzentrums nicht geben wird“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Moskau sei bereit, über alles zu sprechen, aber nicht, sich zu Nawalny „Ratschläge anzuhören“.
Die russische Seite dürfte Plänen eines Treffens von Borrell mit Nawalny nicht zustimmen. Der wird wohl versuchen, zumindest dessen Unterstützer zu treffen.
Klar scheint, dass die EU nach Borrells Rückkehr vor einer schwierigen Sanktionsdebatte stehen wird. Nach dem Giftanschlag auf Nawalny vom Sommer hatten die Mitgliedstaaten gegen sechs mutmaßlich Verantwortliche in Russland Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt.
Weitere Sanktionen forderten Polen und die baltischen Staaten Mitte Januar gleich nach Nawalnys Verhaftung in Moskau bei der Rückkehr aus Deutschland. Doch die EU-Außenminister konnten sich vergangene Woche nicht einigen und entschlossen sich, erst die Gerichtsverhandlung und Borrells Besuch abzuwarten.
„Weitere Sanktionen sind nicht ausgeschlossen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch nach dem harten Urteil gegen Nawalny. Dabei dürfte es erneut darum gehen, Verantwortliche für den Umgang mit dem Kreml-Kritiker mit Einreise- und Vermögenssperren zu belegen.
Der Ruf aus dem Europaparlament und östlichen Mitgliedstaaten nach einem Baustopp für die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 fällt nicht in die EU-Kompetenz. Darüber könnte nur die Bundesregierung entscheiden, die aber an dem Pipeline-Projekt festhalten will.
Auch Borrell ist hier zurückhaltend: „Die Russen werden ihren Kurs nicht ändern, wenn wir ihnen sagen, dass wir Nord Stream stoppen“, sagte er. „Das wird Nawalnys Problem nicht lösen.“
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