Das EU-Parlament droht der Europäischen Kommission mit einer Klage, weil sie den Rechtsstaatsmechanismus im Gemeinschaftshaushalt noch nicht zur Anwendung gebracht hat. Das Parlament betrachte dies als „Untätigkeit“, heißt es in einer Entschließung, die am Donnerstag in Brüssel mit breiter Mehrheit angenommen wurde. Sollte die Brüsseler Behörde ihren Verpflichtungen bis zum 1. Juni nicht nachkommen, werde das Parlament Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einreichen.
Der Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang dieses Jahres in Kraft und berechtigt die Kommission, den Mitgliedstaaten bei rechtsstaatlichen Verfehlungen zulasten des Gemeinschaftshaushalts EU-Mittel zu kürzen. Im Fokus standen in diesem Zusammenhang bislang vor allem Polen und Ungarn, die seit Jahren in Brüssel wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte am Pranger stehen.
„Die Situation in Bezug auf die Achtung des Rechtsstaatsprinzips in einigen Mitgliedstaaten“ rechtfertige eine sofortige Anwendung des neuen Instruments, heißt es im Entschließungstext. Die EU-Abgeordneten nähmen jedoch „mit Enttäuschung zur Kenntnis“, dass die Kommission bislang keine entsprechenden Schreiben an betroffene Mitgliedstaaten gerichtet habe.
Warschau und Budapest hatten sich vehement gegen den Rechtsstaatsmechanismus gewehrt und dabei über Wochen ein billionenschweres Finanzpaket aus dem EU-Haushalt und dem Corona-Hilfsfonds blockiert. Schließlich stimmten sie zu, nachdem die Staats- und Regierungschefs zugesichert hatten, dass Kürzungen von EU-Geldern erst erfolgen würden, nachdem der EuGH das Instrument rechtlich geprüft habe.
Die entsprechenden Klagen reichten die beiden Länder vergangene Woche in Luxemburg ein. Auch ein beschleunigtes EuGH-Verfahren wird wohl bis zu einem Jahr dauern. Ungarn, Polen und eventuell anderen EU-Ländern drohen also frühestens Ende 2022 Sanktionen.
In ihrer Entschließung führen die Abgeordneten nun an, „dass Klagen vor dem EuGH (…) keine aufschiebende Wirkung haben“. Auch kritisieren sie, dass die Kommission vor der Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus dafür noch „Leitlinien“ entwickeln wolle. Dies hatte die Behörde mit Blick auf den Gipfel-Kompromiss mit Polen und Ungarn angekündigt.
„Die Verzögerungstaktik der EU-Kommission ist rechtswidrig und muss Konsequenzen haben“, erklärte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner. „An jedem Tag, den (Kommissionschefin Ursula) von der Leyen zögert, wandern EU-Gelder unwiederbringlich in korrupte Taschen, werden Richterinnen und Richter bis in ihr Privatleben hinein verfolgt, verschwinden freie Medien“, kritisierte die SPD-Abgeordnete Katarina Barley.
Die Kommission hatte derartige Kritik mehrmals zurückgewiesen. Sie führt an, den Rechtsstaatsmechanismus nach grünem Licht aus Luxemburg gegebenenfalls rückwirkend auf Verstöße ab Januar anwenden zu wollen.