Internationale Kritik an Austritt der Türkei aus Abkommen gegen Gewalt an Frauen

Recep Tayyip Erdogan - Bild: OCHA / Berk Özkan
Recep Tayyip Erdogan - Bild: OCHA / Berk Özkan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist mit seinem Austritt aus einem Abkommen gegen Gewalt an Frauen weltweit auf massive Kritik gestoßen. Die Bundesregierung sprach angesichts des türkischen Rückzugs aus der sogenannten Istanbul-Konvention von einem „falschen Signal an Europa“. US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Schritt als „zutiefst enttäuschend“. In der Türkei gingen aus Protest tausende Menschen auf die Straße.

In der Metropole Istanbul forderten die Teilnehmer einer Kundgebung am Samstag Erdogan auf, die Entscheidung zu revidieren und dem Abkommen wieder beizutreten. Die Demonstranten zeigten Plakate mit den Porträts ermordeter Frauen. Sie habe „die Nase voll vom patriarchalischen Staat“, sagte die Demonstrantin Banu der Nachrichtenagentur AFP. „Ich habe es satt, mich nicht sicher zu fühlen.“ Kleinere Kundgebungen gab es laut Medienberichten auch in Ankara und Izmir.

Der Rückzug aus der Istanbuler Konvention von 2011 wurde durch ein Präsidial-Dekret Erdogans in der Nacht zum Samstag bekanntgegeben; Frauenrechtsgruppen riefen umgehend zu Demonstrationen auf. Erdogan kam mit seiner Entscheidung konservativen und islamistischen Kreisen entgegen. Diese hatten den Austritt mit der Begründung gefordert, die Übereinkunft schade der Einheit der Familie und fördere Scheidungen sowie Homosexualität.

Die Konvention des Europarats ist das weltweit erste verbindliche Abkommen dieser Art. Die Unterzeichner verpflichten sich dazu, Frauen und Mädchen durch strafrechtliche Verfolgung der Täter besser vor Gewalt zu schützen – sei es zu Hause oder anderswo. Als „Gewalt“ gilt dabei laut Abkommen nicht nur physische Gewalt, sondern auch geschlechtsspezifische Diskriminierung, Einschüchterung oder wirtschaftliche Ausbeutung.

Mit ihrem Rückzug aus dem Abkommen trete die Regierung „den Kampf, den Frauen seit Jahren führen“, mit Füßen, erklärte Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu, einer von Erdogans wichtigsten politischen Widersachern. Sogar die regierungstreue Frauen- und Demokratievereinigung (Kadem), deren stellvertretende Vorsitzende eine Tochter Erdogans ist, verwies darauf, dass die Istanbul-Konvention „eine wichtige Rolle im Kampf gegen Gewalt“ spiele.

Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei ein großes Problem. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ 300 Frauen ermordet.

Auch international stieß der Austritt der Türkei auf scharfe Kritik. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes erklärte, erst vor wenigen Wochen habe Erdogan einen Aktionsplan für Menschenrechte vorgestellt, der sich auch mit der Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen beschäftige. Die Kündigung der Istanbul-Konvention werfe die Frage auf, wie ernst es die Türkei mit den im Aktionsplan angekündigten Zielen meine.

In einem gemeinsamen Aufruf vom Sonntag drängten Bundesaußenminister Heiko Maas SPD), die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric, und der Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Rik Daems, die Türkei zu einer Rücknahme der Entscheidung. „Der Austritt aus der Konvention wird der Türkei und den türkischen Frauen ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Gewalt entziehen“.

US-Präsident Biden reagierte ebenfalls mit scharfen Worten. „Dies ist ein entmutigender Rückschritt für die internationalen Bemühungen, die Gewalt gegen Frauen weltweit zu beenden“, erklärte Biden. Er bezeichnete den Schritt als „überraschend und ungerechtfertigt“.

Die türkische Regierung zeige auf diese Weise „ihr wahres Gesicht“, erklärte der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei, Nacho Sanchez Amor, auf Twitter. Der Austritt bedeute eine „völlige Missachtung der Rechtsstaatlichkeit“ und einen Rückschritt bei den Menschenrechten.

Der Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock, ging die Kritik der Bundesregierung nicht weit genug. Erdogans Vorgehen zeige, wie weit sich die Türkei von einer Demokratie entfernt habe, erklärte sie. „Das muss Konsequenzen auf europäischer Ebene haben.“ Auch die Linksfraktion im Bundestag forderte von der Bundesregierung „klare Worte“ und ein Ende der Waffenexporte und der Kooperation von Polizei und Geheimdiensten.

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