Die Grünen nehmen mit Parteichefin Annalena Baerbock Kurs auf das Kanzleramt: Der Bundesvorstand kürte die 40-Jährige am Montag zur Kandidatin für das Amt der Regierungschefin. Sie strebe eine Politik für die gesamte Breite der Gesellschaft an, sagte Baerbock. Als Schwerpunkt nannte sie den Klimaschutz. Die anderen Parteien reagierten überwiegend mit Wohlwollen und stellten einen fairen Wahlkampf in Aussicht.
Bereits vor einigen Monaten hatten sich die Grünen – zum ersten Mal in ihrer Parteiengeschichte – für eine Kanzlerkandidatur entschieden. Baerbock muss noch auf einem Parteitag im Juni offiziell als Kanzlerkandidatin nominiert werden, was aber als Formsache gilt. Sie soll zudem mit Ko-Parteichef Robert Habeck als Spitzenduo zur Bundestagswahl am 26. September antreten. „Wir haben eine klare Idee einer Kanzlerschaft für Deutschland“, sagte die Baerbock. Es gehe darum, „verändern statt zu versprechen“.
„Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit, die Aufgabe meiner Generation“, sagte Baerbock. Die Politik der neuen Bundesregierung müsse Klimaschutz für alle Bereiche zum Maßstab machen. „Zukunft ist nichts, was einfach so passiert“, betonte Baerbock bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur. „Wir haben es in der Hand, deshalb stehe ich heute hier“, sagte sie.
Die 40-Jährige räumte zugleich ein, dass sie bislang über keinerlei Regierungserfahrung verfügt. „Ja, ich war noch nie Ministerin, Kanzlerin“, sagte sie. Aber „ich bringe einen klaren Kompass und Lernfähigkeit mit“, fügte sie hinzu.
Baerbock und Habeck demonstrierten nach der Entscheidung Geschlossenheit. Es entspreche dem Führungsverständnis der Partei, „dass man aneinander wächst und sich nicht gegenseitig die Beine wegtritt“, sagte Habeck. Er soll auch die angestrebte Regierungsbeteiligung maßgeblich mit vorbereiten.
Die Grünen hatten seit längerem angekündigt, zwischen Ostern und Pfingsten die Frage der Kanzlerkandidatur zu klären. Nach Baerbocks Worten fiel die Entscheidung bereits vor Ostern. Baerbock steht gemeinsam mit Habeck seit Januar 2018 an der Spitze der Grünen. Die studierte Völkerrechtlerin ist in der Partei gut vernetzt.
Die am 15. Dezember 1980 in Hannover geborene Baerbock war von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, bevor sie 2013 in den Bundestag einzog. Bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungen Ende 2017 machte sich Baerbock nicht nur in der Klima-, sondern auch der Europapolitik einen Namen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beglückwünschte Baerbock zur Kanzlerkandidatur, wie Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin sagte. CDU-Chef Armin Laschet sagte, er freue sich auf einen „fairen Wahlkampf“.
CSU-Chef Markus Söder sagte in München, es werde zwischen Grün und Schwarz „um Platz eins“ gehen. Er strebt ebenso wie Laschet die Kanzlerkandidatur der Union an.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gratulierten Baerbock ebenfalls zur Kandidatur: „Wir freuen uns auf konstruktive wie auch kontroverse Dialoge und Diskussionen mit der Spitzenkandidatin und ihrer Partei.“
FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner schrieb auf Twitter, er freue sich auf den „politischen Ideenaustausch“ mit Baerbock. Kritisch äußerte sich hingegen die AfD: „Für Deutschland wäre eine Bundesregierung unter Führung der Grünen eine Katastrophe und würde unserem Land noch mehr staatlichen Zwang und Unfreiheit bescheren“, erklärte Fraktionschef Alexander Gauland.