US-Präsident Joe Biden will spätestens bis zum 11. September alle US-Truppen aus Afghanistan vollständig abziehen – rund viereinhalb Monate später als von seinem Vorgänger Donald Trump angestrebt. Ein US-Regierungsvertreter nannte am Dienstag den 20. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 als Schlusspunkt des Abzugs. Trump hatte den radikalislamischen Taliban einen Truppenabzug bereits zum 1. Mai in Aussicht gestellt.
Der Regierungsmitarbeiter sagte nun, ein geordneter Abzug der in Afghanistan verbliebenen US-Soldaten werde noch vor dem 1. Mai eingeleitet. Vor dem 11. September solle der Abzug abgeschlossen sein. Das Vorgehen werde mit den Nato-Partnern „koordiniert“.
Es gebe „keine Bedingungen“ für den Abzug, sagte der Regierungsvertreter weiter. Einen Abzug an Voraussetzungen zu knüpfen, wie es in der Vergangenheit getan worden sei, würde letztlich dazu führen, dass die USA „für immer“ in Afghanistan bleiben würden.
Biden hatte schon in seiner Zeit als Vizepräsident von Barack Obama (2009 bis 2017) vor zu ehrgeizigen Zielen in Afghanistan gewarnt. Der neue Präsident will am Mittwoch eine Rede zum geplanten Truppenabzug halten.
Die Trump-Regierung hatte im Februar 2020 in Doha ein Abkommen mit den Taliban geschlossen, um den längsten Krieg der US-Geschichte zu beenden. Die USA sagten den Islamisten darin einen Truppenabzug bis zum 1. Mai zu. Voraussetzung waren belastbare Sicherheitsgarantien der Taliban, etwa ein Abbruch der Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida, sowie Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung. Die Taliban stellten zudem ihre Angriffe auf westliche Soldaten ein.
Die Taliban haben jedoch neue Attacken auf die westlichen Truppen angedroht, sollte das Abzugsdatum 1. Mai nicht eingehalten werden. Der US-Regierungsvertreter warnte nun aber, den Taliban sei unmissverständlich klar gemacht worden, dass jeder Angriff auf Truppen der USA oder verbündeter Staaten eine „harte“ Antwort nach sich ziehen werde.
Die USA waren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan einmarschiert. Zwischenzeitlich waren rund 100.000 US-Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Derzeit sind es nach offiziellen Angaben noch rund 2500 US-Soldaten. Die Bundeswehr beteiligt sich mit etwa 1100 Soldatinnen und Soldaten am Nato-geführten Einsatz in dem Bürgerkriegsland.
Viele Beobachter fürchten neues Chaos in Afghanistan nach einem Abzug der westlichen Truppen. Die Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban haben bisher nicht zum Erfolg geführt.
Die Türkei kündigte am Dienstag Friedensgespräche für Afghanistan an, die vom 24. April bis 4. Mai in Istanbul stattfinden sollen. Die Konferenz solle die inner-afghanischen Verhandlungen „beschleunigen und ergänzen“, teilte das türkische Außenministerium mit. Ziel sei eine „gerechte und dauerhafte politische Lösung“ für Afghanistan.
Die Taliban wollen das Treffen in Istanbul jedoch boykottieren. „Bis nicht alle ausländischen Truppen vollständig aus unserer Heimat abgezogen sind, sind wir nicht bereit, an irgendeiner Konferenz teilzunehmen, bei der Entscheidungen über Afghanistan getroffen werden sollen“, erklärte der Taliban-Sprecher Mohammad Naeem am Dienstag im Onlinedienst Twitter.
Die US-Geheimdienste warnten zuletzt in einem Bericht, die Aussichten auf ein Friedensabkommen innerhalb eines Jahres seien „gering“. „Die Taliban dürften weitere Gewinne auf dem Schlachtfeld erzielen, und die afghanische Regierung wird Schwierigkeiten haben, die Taliban in Schach zu halten, wenn die Koalition (das westliche Militärbündnis) Unterstützung entzieht.“
Die Taliban seien „zuversichtlich“, dass sie einen „militärischen Sieg“ erringen könnten, heißt es in dem US-Bericht zur weltweiten Bedrohungslage. Die afghanischen Streitkräfte würden immer wieder militärische Rückschläge erleiden.