Die EU hat dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Neustart der Beziehungen angeboten, aber gleichzeitig deutliche Kritik an der innenpolitischen Situation des Landes geäußert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zeigten sich bei einem Besuch in Ankara besorgt über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei. Sie stellten aber gleichzeitig eine verstärkte Wirtschaftszusammenarbeit und finanzielle Unterstützung in Aussicht.
Von der Leyen sprach von einem „guten ersten Treffen“ mit Erdogan. Die Türkei habe Interesse gezeigt, „in konstruktiver Weise“ mit der EU ins Gespräch zu kommen, Die EU sei bereit, vor dem Gipfel ihrer Staats- und Regierungschefs im Juni an einer „neuen Dynamik unserer Beziehungen“ zu arbeiten.
Nach Gesprächsbereitschaft Ankaras im Konflikt um Gas-Vorkommen im östlichen Mittelmeer hatte der EU-Gipfel Ende März eine verstärkte Zusammenarbeit in Aussicht gestellt, falls die Türkei sich weiter kooperationsbereit zeigt. Sollte der Konflikt mit den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern wieder aufflammen, stehen aber weiter auch Sanktionen gegen Ankara im Raum.
Von der Leyen zufolge wurde in dem fast dreistündigen Gespräch mit Erdogan nun vertieft über vier Bereiche einer ausgeweiteten Zusammenarbeit gesprochen: die Modernisierung der gemeinsamen Zollunion, Gespräche auf hochrangiger Ebene, Reiseerleichterungen für türkische Bürger und weitere Finanzhilfe für rund vier Millionen Syrien-Flüchtlinge in der Türkei.
Bei dem letzten Punkt sagte von der Leyen, die EU-Kommission werde hier „bald“ einen Vorschlag vorlegen, der auch die Aufnahmeländer Jordanien und Libanon umfassen soll. Die EU hatte Ankara schon in einem Flüchtlingsabkommen von 2016 sechs Milliarden Euro für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei zugesagt, die nun aber weitgehend ausgegeben und verplant sind.
Voraussetzung für weitere Hilfe ist laut von der Leyen, dass die Türkei die 2016 von ihr zugesagte Rücknahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln wieder aufnehme. Diese hatte Ankara im vergangenen Sommer ausgesetzt.
Der Besuch war im Vorfeld von zahlreichen Vertretern des EU-Parlaments und des Bundestags als falsches Signal kritisiert worden. Michel sagte nach dem Gespräch mit Erdogan, er habe mit von der Leyen „tiefe Sorge über die jüngsten Entwicklungen“ in der Türkei geäußert. Der EU-Ratspräsident nannte dabei die Einschränkung der Meinungsfreiheit und das Vorgehen gegen politische Parteien wie die pro-kurdische HDP, die sich mit einem Verbotsantrag konfrontiert sieht.
Von der Leyen betonte, Menschenrechte seien „nicht verhandelbar“ und hätten für die EU „absolute Priorität“. Sie kritisierte den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Dieser sei „nicht das richtige Signal“ und behindere den Prozess der Wiederannäherung.
Erdogan selbst äußerte sich nach dem Treffen nicht in der Öffentlichkeit. In einer Erklärung des Präsidialamtes hieß es, die Türkei wolle, dass die EU „konkrete Schritte“ unternehme, um die positive Entwicklung der Beziehungen zu unterstützen. Ziel des Landes sei weiter „volle Mitgliedschaft“ in der EU. Die Gespräche dazu liegen allerdings seit Jahren auf Eis und ihre Wiederaufnahme war auch nicht Teil des nun unterbreiteten EU-Angebots.
Beide Seiten stünden erst „am Beginn einer Straße“, sagte von der Leyen. Erst die kommenden Monate würden zeigen, „wie weit wir auf dieser Straße gemeinsam gehen können“. Michel betonte, dass jedes Entgegenkommen gegenüber Ankara „schrittweise“ erfolgen werde und „umkehrbar“ sein müsse.