Die deutschen Landkreise sowie Politiker aus mehreren Bundesländern haben grundsätzliche Bedenken gegen die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ziel bundeseinheitlicher Corona-Maßnahmen geltend gemacht. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, nannte den vorliegenden Gesetzentwurf in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Montag ein „in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen“. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnte den Gesetzentwurf ab, die Grünen nannten ihn „dringend nachbesserungsbedürftig“.
Der Landkreistagschef Sager zog in Zweifel, ob es gelinge, mit den geplanten Regelungen die dritte Infektionswelle zu brechen. „Wir halten es jedenfalls generell für fraglich, passgenaue Lösungen für höchst unterschiedliche Situationen vor Ort unmittelbar in einem Bundesgesetz vorzuschreiben“, sagte der Landrat des Landkreises Ostholstein. Dagegen hatte der Deutsche Städtetag die geplanten einheitlichen Notbremsenregelungen zuvor begrüßt.
Der Entwurf für ein verschärftes Infektionsschutzgesetz sieht bundesweit einheitliche nächtliche Ausgangssperren von 21.00 bis 05.00 Uhr in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 vor. Weitere Regelungen betreffen die Schließung von Schulen, Kitas, Läden, Gastronomie, Hochschulen, Sportstätten und Kultureinrichtungen. Das Gesetz soll in der kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden und dann rasch in das parlamentarische Verfahren gehen.
FDP-Fraktionschef Christian Lindner schrieb nach Informationen der Funke-Zeitungen in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU), der Entwurf sei „in der vorliegenden Fassung für die Fraktion der Freien Demokraten nicht zustimmungsfähig“. „Wir haben im Gegensatz zur Bundesregierung Zweifel, ob dieses Gesetzgebungsvorhaben nicht doch der Zustimmung des Bundesrates bedarf“, betonte Lindner und kündigte zugleich inhaltliche Änderungsanträge an.
So sei die Einführung einer nächtlichen Ausgangssperre bei einer Inzidenz von 100 „ein unverhältnismäßiger und epidemiologisch unbegründeter Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger“, schrieb Lindner. Auch fehle im Gesetzentwurf eine gesetzliche Klarstellung im Hinblick auf Geimpfte.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kritisierte den Gesetzentwurf als unzureichend kritisiert. „Es braucht jetzt umfassende Beschränkungen und ein verfassungskonformes Vorgehen, um die dritte Welle zu brechen“, mahnte Göring-Eckardt in den Funke-Zeitungen.
Insbesondere Wirtschaft und Arbeitswelt müssten verpflichtet werden, mehr zur Infektionsvermeidung beizutragen. Zudem müsse zwischen geimpften und nicht-geimpften Menschen unterschieden werden.
Grundlegende Bedenken gegen eine Kompetenzverlagerung von den Ländern nach Berlin äußerte der bayerische Vizeministerpräsident und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. „Der Bund soll sich bei der Coronapolitik um die Dinge kümmern, für die er zuständig ist und wo er bisher versagt hat. Beschaffung von Impfstoff, genügend gute Masken, bessere Bezahlung der Pflegekräfte“, sagte Aiwanger der „Passauer Neuen Presse“ und dem „Donaukurier“ vom Montag.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) warnte ebenfalls eindringlich vor einer Kompetenzverschiebung zugunsten des Bundes in der Pandemie. „Fakt ist: Dort, wo der Bund die Befugnisse hatte, hat er zum Teil kläglich versagt“, sagte Pistorius der „Welt“ vom Montag. Als Beispiele nannte Pistorius die Beschaffung von Impfstoff und Schutzausrüstung.
Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) äußerte sich kritisch zu Teilen der geplanten Gesetzesänderung. „Der vorliegende Entwurf greift tief, meines Erachtens in manchen Bereichen unverhältnismäßig tief in die Privatsphäre ein und nimmt gleichzeitig die Infektionsgefahren in den Betrieben nicht ernst genug“, sagte Bovenschulte dem „Tagesspiegel“ vom Sonntag.
Derweil meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) am Sonntag 17.855 Neuinfektionen mit dem Coronavirus binnen eines Tages. Demnach wurden 104 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 129,2.