Prozess gegen 108 pro-kurdische Politiker in der Türkei begonnen

Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit
Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit

In Ankara hat am Montag ein Prozess gegen 108 pro-kurdische Aktivisten und Politiker wegen der gewaltsamen Proteste im Jahr 2014 gegen die Belagerung der nordsyrischen Stadt Kobane durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) begonnen. Unter den Angeklagten ist auch der frühere Chef der pro-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas, wie türkische Medien berichteten. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, kritisierte den Prozess, die Linke sprach von einem politischen wie juristischen Skandal.

Die Staatsanwaltschaft in Ankara wirft den Vertretern der HDP-Partei vor, die Gewalt bei den Protesten 2014 provoziert zu haben, durch die damals im Südosten der Türkei 37 Menschen getötet wurden. Der Vorwurf richtet sich insbesondere gegen Demirtas, der bereits seit 2016 inhaftiert ist, sowie gegen die ehemalige HDP-Ko-Vorsitzende Figen Yüksedag.

Die Staatsanwaltschaft beantragte für die Angeklagten Gefängnisstrafen wegen „Verletzung der staatlichen Einheit“, Mordes und versuchten Mordes sowie wegen Diebstahls und Plünderungen.

Die HDP bestreitet, für die Gewalttaten verantwortlich zu sein. Sie wirft ihrerseits den Sicherheitskräfte vor, die Gewalt provoziert zu haben. Zudem machte die Partei darauf aufmerksam, dass die meisten der damals getöteten Menschen HDP-Sympathisanten gewesen seien. Dies sei ein „politischer Prozess“ aus Rache, weil die Regierung die Niederlage der IS-Miliz in Kobane noch nicht verwunden habe.

Die Proteste waren aufgeflammt, als 2014 die größtenteils von Kurden bewohnte Stadt Kobane nahe der türkischen Grenze in Nordsyrien vom IS angegriffen worden war und die türkische Armee untätig blieb.

Die HDP ist die zweitgrößte türkische Oppositionspartei. Die islamisch-nationalistische Regierung geht seit Jahren hart gegen die Partei vor, viele ihrer Anhänger und Vertreter sitzen im Gefängnis. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die HDP, der politische Arm der verbotenen Untergrundorganisation PKK zu sein. Die HDP weist dies regelmäßig zurück.

Wer versuche, „Meinungsäußerungen zu kriminalisieren“, lege „Hand an die Fundamente der Demokratie“, erklärte Kofler. Das „harte und international wiederholt kritisierte Vorgehen der türkischen Behörden gegen die HDP und ihre Mitglieder“ nähre die „Zweifel daran, dass der heute beginnende Prozess in Ankara geeignet ist, die tragischen Vorkommnisse im Zusammenhang mit den sogenannten Kobane-Protesten 2014 aufzuarbeiten“. Die SPD-Politikerin kündigte an, sie werde das weitere Verfahren genau beobachten und erwarte, dass rechtsstaatliche Standards eingehalten werden.

Besonders Demirtas dürfe nicht weiter mit „fragwürdigen Anklagen“ verfolgt werden, sondern müsse im Einklang mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) freigelassen werden, forderte Kofler. Sie erinnerte daran, dass der EGMR bereits im vergangenen Dezember die fraglichen Protestaufrufe der HDP als im Rahmen politischer Meinungsäußerung verteidigt und nicht als Aufruf zur Gewalt eingestuft hatte.

Die Linke forderte, die „Kriminalisierung der demokratischen Opposition in der Türkei“ müsse beendet werden. Die Obfrau der Partei im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, erklärte, es sei „beschämend“, dass sich die Nato-Zentrale in Brüssel über die Unterstützung des „islamistischen Schreckensregimes im besetzten Norden Syriens durch das Nato-Mitglied Türkei“ ausschweige. Der „Stopp aller Waffenexporte und Wirtschaftshilfen an den Terrorhelfer Erdogan“ sei „überfällig“, fügte Dagdelen hinzu.

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