Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, sieht die Corona-Pandemie als Belastungsprobe für den Rechtsstaat. „Diese Pandemie ist in allen freiheitlichen Ordnungen ein Stresstest für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch in Deutschland“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Samstag. „Aber die Bekämpfung des Coronavirus vollzieht sich in den Bahnen des Rechts. Die Justiz kommt ihrer Aufgabe uneingeschränkt nach.“ Er halte nichts von „alarmistischen Abgesängen auf den Rechtsstaat“, sagte Harbarth.
Die getroffenen Maßnahmen griffen nicht nur tief in Grundrechte ein, sondern dienten zugleich „dem Schutz sehr gewichtiger Grundrechte, nämlich der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, betonte der Verfassungsgerichtspräsident.
Auf die Frage nach einer zeitlichen Obergrenze für den Corona-Lockdown sagte der höchste Richter Deutschlands: „Je länger solche Maßnahmen andauern, desto strenger sind die Anforderungen an ihre Rechtfertigung.“
Die Gerichte prüften, ob die Politik in nachvollziehbarer Weise zu ihren Einschätzungen gelangt sei und ob die verschiedenen Grundrechte in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden seien. „Die Frage, ob das in allen Wirtschaftszweigen verhältnismäßig war, wird die Gerichte auf Jahre hinaus beschäftigen“, sagte Harbarth.
Zur Umsicht forderte der Jurist Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Protestkundgebungen in der Pandemie auf. Wer demonstriere, solle „aufpassen, hinter welchen Parolen er herläuft“, empfahl Harbarth. „Demonstrationen sind Ausdruck einer funktionierenden Demokratie. Aber auch mit Bürgerrechten muss man verantwortungsbewusst umgehen.“
„Wir leben in keiner Diktatur, sondern in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat“, betonte Harbarth. „Dieses Glücks sollte man sich auch und gerade in schwierigen Zeiten bewusst sein.“