Corona – doch ein Laborunfall? Riskante Forschung mit gefährlichen Erregern

Symbolbild: Forschung - Bild: Artfully79 via Twenty20
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Etwa anderthalb Jahre nach dem erstmaligen Auftreten des neuartigen Coronavirus ist sein Ursprung noch immer unklar. Die US-Geheimdienste gehen unter anderem der Theorie nach, wonach der Erreger Sars-CoV-2 durch einen Laborunfall im Institut für Virologie im chinesischen Wuhan in Kontakt mit dem Menschen kam. Für diese These gibt es bislang keine schlagenden Beweise, für das allgemeine Risiko einer Pandemie durch einen Laborunfall allerdings schon:

Arbeitsweise und Zahl der Hochsicherheitslabore

Das Labor in Wuhan gehört zu denjenigen mit der höchsten Bio-Sicherheitsstufe 4, abgekürzt BSL4. Diese sind so konzipiert, dass dort die gefährlichsten Viren und Bakterien erforscht werden können, welche schwere Erkrankungen verursachen können und gegen die es keine bekannten Gegenmittel und Impfstoffe gibt.

Dank Hochleistungsluftfiltern können hier Viren nicht mit der Abluft entweichen, sagt der Leiter des Studiengangs Bioabwehr der US-Universität George Mason, Gregory Koblentz. Alle Abwässer solcher Einrichtungen würden mit Chemikalien oder Hitze behandelt, „um sicherzugehen, dass nichts mehr am Leben ist“. Die Forscher in Hochsicherheitslaboren sind speziell geschult und tragen Schutzanzüge.

Weltweit gibt es 59 solcher Hochsicherheitslabore, wie es in einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht heißt, an dem Koblentz mitarbeitete. Der Bericht konstatiert allerdings auch, dass es „keine verbindlichen internationalen Standards für das sichere und verantwortungsvolle Arbeiten“ mit Krankheitserregern gibt.

Laborunfälle in der Vergangenheit

Unfälle kommen mitunter auch in Top-Laboren vor, häufiger aber in Einrichtungen mit niedrigerem Sicherheitslevel, von denen es weltweit tausende gibt. Das H1N1-Virus, das die Grippe-Pandemie 1918 auslöste, entwich 1977 aus Laboren in der Sowjetunion und China und breitete sich weltweit aus.

2004 steckten sich zwei studentische Mitarbeiter des Nationalen Instituts für Virologie in Peking mit dem Sars-Erreger an und verbreiteten ihn weiter, die Mutter von einem der beiden starb. 2014 wurden beim Umzug eines Büros der US-Arzneimittelbehörde FDA einige Phiolen mit Pockenviren entdeckt.

Lynn Klotz vom Center for Arms Control and Non-Proliferation in Washington warnt seit Jahren vor Gefahren für die Öffentlichkeit durch Bio-Labore. „Menschliche Fehler machen 70 Prozent der Fehler in Laboren aus“, sagt der Experte.

Die Kontroverse um „Gain of function“-Forschung

In der Debatte um den Ursprung der Corona-Pandemie stehen nun auch die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA (NIH) am Pranger. Einige republikanische Politiker werfen ihnen vor, sogenannte Gain-of-function-Forschung mit Coronaviren in Wuhan gefördert zu haben. Die NIH weisen dies zurück.

Bei der „Gain of function“-Forschung verändern Wissenschaftler Erreger so, dass diese leichter übertragbar, tödlicher oder schwerer mit Medikamenten und Impfstoffen zu bekämpfen sind. Auf diese Weise wollen sie herausfinden, wie die Erreger bei entsprechenden Mutationen in natürlicher Umgebung besser bekämpft werden können.

Über Nutzen und Risiken dieses Forschungsansatzes wird seit langem gestritten. Einen Höhepunkt erreichte die Kontroverse, als 2011 zwei Forscherteams Vogelgrippeviren so veränderten, dass sie zwischen Säugetieren übertragbar waren.

Der Harvard-Epidemiologe Marc Lipsitch warnt, ein auf diese Art geschaffener Virusstamm könne einen Labor-Mitarbeiter befallen und letztlich eine ganze Pandemie verursachen. „Diese Forschung ist nicht notwendig und trägt nicht zur Entwicklung von Arzneien oder Impfstoffen bei“, argumentiert auch Richard Ebright von der Rutgers University gegen die „Gain-of-function“-Forschung.

In den USA wurde Forschung an Grippeviren und Coronaviren  mit dieser Methode 2014 zunächst ausgesetzt. Seit 2017 ist die „Gain of function“-Forschung wieder erlaubt, allerdings muss ein Expertenausschuss jeden Fall einzeln vorab prüfen.

Konsequenzen für die Zukunft

Die Molekularbiologin Alina Chan vom Broad Institute spricht sich dafür aus, an gefährlichen Erregern nur in sehr abgeschiedenen Laboren zu arbeiten. Vor einer Rückkehr in die Gesellschaft müssten dann alle Mitarbeiter in Quarantäne. „Wissenschaftler sind sehr kreativ“, sagt Chan, „man wird einen Weg finden, das sicherer zu machen“.

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