Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise setzt die EU-Kommission auch im kommenden Jahr die Defizit- und Schuldenregeln für die Mitgliedstaaten aus. Die Behörde habe aufgrund ihrer jüngsten Konjunkturprognose entschieden, eine entsprechende Ausnahmeregelung auch 2022 anzuwenden, sagte Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis am Mittwoch. Ab 2023 würden die Regeln aber wieder gelten. Gleichzeitig dämpfte die Behörde Erwartungen an eine mögliche Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um seine Kriterien dauerhaft zu lockern.
Wegen der Corona-Krise hatte die EU-Kommission im März vergangenen Jahres erstmals überhaupt die europäischen Regeln für Haushaltsdefizite und Gesamtverschuldung der Mitgliedstaaten ausgesetzt. Dies sollte es den Regierungen ermöglichen, massive Konjunktur- und Hilfsprogramme für die Wirtschaft aufzulegen, ohne Sanktionen aus Brüssel fürchten zu müssen.
„Wir ermutigen die Mitgliedstaaten, in diesem und im nächsten Jahr weiter eine unterstützende Fiskalpolitik zu betreiben“, erklärte Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis. Ziel sei es, öffentliche Investitionen aufrechtzuerhalten, um das Wachstum anzukurbeln. Besonders für hoch verschuldete Länder sei aber „ein gesunder Ausgabenmix“ notwendig, der sich auf Investitionen konzentriere und „andere Ausgaben unter Kontrolle hält“.
Mit Blick auf Deutschland kritisierte die Kommission in ihren am Mittwoch veröffentlichten länderspezifischen Empfehlungen erneut verhältnismäßig niedrige Investitionen. Ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung bleibe „trotz der günstigen Finanzierungsbedingungen und des anhaltenden Investitionsbedarfs bereits vor der Covid-19-Krise (…) moderat“, hieß es.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll finanzpolitische Sicherheit in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sicherstellen. Ihm zufolge dürfen die Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten normalerweise drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Die Gesamtverschuldung soll zudem nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.
Bei anhaltenden Defizitverstößen drohen den Mitgliedstaaten Sanktionen aus Brüssel. Dabei sind Geldbußen von bis zu 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung möglich, was sich auf Milliardenbeträge summieren kann. Auch Gelder aus den milliardenschweren Strukturfonds könnten gekürzt werden. Das Verfahren ist aber langwierig, und bisher hat die EU noch niemals Geldbußen verhängt.
Die Kommission hat Gespräche über eine Reform der Regeln für den Herbst angekündigt, die vor allem im Süden Europas als zu starr und strikt angesehen werden. Der aus Italien stammende Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni dämpfte aber am Mittwoch Erwartungen an große Veränderungen.
Eine Reform in der „kontroversen Frage“ werde „nicht einfach“, sagte er. Denn unter den Mitgliedstaaten gebe es in der Frage „unterschiedliche Interessen und Positionen“. Dennoch werde die Kommission darauf dringen, „diese Regeln zu überprüfen und zu aktualisieren“.