Großbritanniens Regierung hat der EU im Streit um Zollkontrollen in Nordirland infolge des Brexit mit einseitigen Maßnahmen gedroht. Die EU bestehe derzeit auf einer „völlig unverhältnismäßigen“ Umsetzung der im Brexit-Abkommen vorgesehenen Zollregelungen für die britische Provinz, sagte Premierminister Boris Johnson am Mittwoch bei einer Parlamentsanhörung in London. Sollte sich dies nicht ändern, „werden wir die notwendigen Schritte unternehmen müssen“.
Das Nordirland-Protokoll im Brexit-Abkommen soll sicherstellen, dass zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen stattfinden. Denn diese könnten nach Einschätzung beider Seiten zu einem Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts führen. Stattdessen soll zwischen Großbritannien und Nordirland kontrolliert werden.
Aktuell erhitzen bald rechtlich nötig werdende Zollkontrollen für britische Einfuhren von Fleischprodukten nach Nordirland die Gemüter. Die Übergangsfrist, innerhalb derer diese Kontrollen noch ausgesetzt sind, läuft Ende des Monats aus. London fordert von Brüssel, das Ende dieser Frist erneut zu verschieben.
Am Wochenende hatte der Streit auch den G7-Gipfel in Cornwall überschattet. Die EU-Spitzen hatten die Regierung in London am Rande des Gipfels aufgerufen, sich an das Nordirland-Protokoll zu halten. Nach früheren Verstößen Londons fürchtet die EU, Großbritannien könnte die bisherige Ausnahmeregelung für Fleischprodukte einseitig verlängern.
Besonders der pro-britischen nordirischen Regierungspartei Democratic Unionist Party (DUP) ist das gesamte Nordirland-Protokoll ein Dorn im Auge, weil es ihrer Auffassung nach eine Grenze zum britischen Festland schafft. Die Partei fordert von der Regierung in London daher, das Protokoll komplett zu streichen.
Der DUP-Abgeordnete Jeffrey Donaldson fragte Johnson bei der Parlamentsanhörung, ob dieser sich dazu verpflichte, Nordirlands Stellung im britischen Binnenmarkt vollständig wiederherzustellen. Der Premier sicherte Donaldson daraufhin zu, genau dies tun zu wollen.
Brexit-Minister David Frost sagte derweil am Mittwoch vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, ein Aufschub bei den Kontrollen von Fleischprodukten würde „eine kleine Atempause für die aktuellen Diskussionen bieten, um Lösungen zu finden.“ Derzeit gebe es aber „kaum Fortschritt“ in den Verhandlungen mit der EU.