Nach dem Gerichtsurteil im Streit um Lieferverzögerungen bei Corona-Impfstoff sehen sich sowohl die EU-Kommission als auch der Hersteller Astrazeneca als Gewinner. Das zuständige belgische Gericht bescheinigte dem britisch-schwedischen Unternehmen am Freitag zwar, Vertragsbruch begangen zu haben. Es ordnete aber deutlich weniger Impfstoff-Lieferungen an, als von der Kommission gefordert.
Das Gericht habe „einen schwerwiegenden Verstoß“ Astrazenecas gegen seine vertraglichen Verpflichtungen mit der EU festgestellt, erklärte die Kommission. Demnach muss das Unternehmen nun bis Ende September zusätzlich zu den 30 Millionen gelieferten Dosen des ersten Quartals 2021 weitere 50 Millionen Impfstoffdosen liefern. Andernfalls droht eine Strafe von 10 Euro pro nicht gelieferter Dosis.
„Diese Entscheidung bestätigt die Position der Kommission“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Das zeigt, dass unsere europäische Impfkampagne nicht nur Tag für Tag etwas für unsere Bürger leistet. Es zeigt auch, dass sie auf einer soliden rechtlichen Grundlage beruht.“
Astrazeneca begrüßte die Entscheidung aber ebenfalls. „Die Europäische Kommission hatte (…) eine Gesamtmenge von 300 Millionen bis Ende September 2021 gefordert“, erklärte das Unternehmen. Das Gericht habe nun aber inklusive der 30 Millionen aus dem ersten Quartal lediglich die Lieferung von 80 Millionen vorgeschrieben. Insgesamt habe Astrazeneca schon jetzt mehr als 70 Millionen Dosen in die EU geliefert – und werde daher die gerichtlich geforderte Menge problemlos überschreiten, erklärte Astrazeneca weiter.
Das Unternehmen hat unter Verweis auf Produktionsprobleme bislang deutlich weniger Impfstoff an die EU geliefert, als vertraglich vereinbart. Die Kommission, die mit den verschiedenen Impfstoffherstellern im Namen der Mitgliedstaaten die Lieferverträge ausgehandelt hatte, hatte deshalb im Mai rechtliche Schritte eingeleitet. Astrazeneca hatte bestritten, den mit der EU geschlossenen Vertrag gebrochen zu haben.
Die Lieferverzögerungen hatten in der EU besonders für Verärgerung gesorgt, weil insbesondere Großbritannien offenbar nicht betroffen war. Im Fokus des Streits lagen deshalb zwei Produktionsstätten des Unternehmens in Großbritannien, die bislang keinen Impfstoff für die EU produziert haben. Astrazeneca gab an, mit der britischen Produktion den britischen Vertrag zu bedienen, während Produktionsprobleme in den Niederlanden die EU-Lieferungen beeinträchtigten.
Nach Kommissionsangaben kamen die belgischen Richter nun zu dem Schluss, dass nichts in den Verträgen der Firma erlaube, dem einen Vertrag gegenüber dem anderen Vorrang zu geben. Astrazeneca hätte zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber der EU „auch die im Vertrag ausdrücklich genannten britischen Produktionsstätten“ nutzen müssen.
Anders als von EU-Seite gefordert verpflichteten die belgischen Richter Astrazeneca jedoch nicht, die EU nun aus Großbritannien zu beliefern – zumindest nicht, solange die vorgegebenen Impfstofflieferungen eingehalten werden. „Alle anderen von der Europäischen Kommission beantragten Maßnahmen wurden abgelehnt“, erklärte das Unternehmen.