EU geht gegen britische Änderungen am Brexit-Abkommen vor: London verteidigt umstrittenes Binnenmarktgesetz

London und EU
London und EU

Die EU leitet rechtliche Schritte gegen Großbritannien wegen der einseitigen Änderungen am Brexit-Vertrag ein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Donnerstag die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das ehemalige EU-Mitglied an. Es kann zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen, der hohe Geldbußen gegen Großbritannien verhängen könnte. Die Regierung in London verteidigte ihre umstrittenen Pläne.

Das britische Unterhaus hatte am Dienstag grünes Licht für das sogenannte Binnenmarktgesetz gegeben, das mehrere Schlüsselregelungen zu Nordirland im Brexit-Vertrag aushebeln könnte. Premierminister Boris Johnson will so vereinbarte Zollregelungen im Warenhandel für die britische Provinz und Vorgaben zu Staatsbeihilfen für britische Unternehmen umgehen.

„Dieser Gesetzesentwurf ist seinem Wesen nach ein Verstoß gegen die im Austrittsabkommen festgelegte Verpflichtung von Treu und Glauben“, sagte von der Leyen. Darüber hinaus stehe er bei einer endgültigen Annahme „in vollem Widerspruch“ zu den Vereinbarungen zu Nordirland und Irland. Die von der EU gesetzte Frist für eine Rücknahme sei am Mittwoch ausgelaufen, Großbritannien habe nun einen Monat Zeit, um zu reagieren.

Ein britischer Regierungssprecher kündigte eine Antwort „zu gegebener Zeit“ an und verteidigte die umstrittenen Passagen zum Nordirland-Protokoll: London wolle so „die Integrität des britischen Binnenmarktes schützen“. Zudem gehe es um den Schutz des Friedensprozesses in der britischen Provinz.

Für die EU werde die „volle und effektive Umsetzung“ des Brexitabkommens „immer absolute Priorität haben“, erklärte der EU-Unterhändler für die Beziehungen zu Großbritannien, Michel Barnier, auf Twitter. Das Abkommen sei „die einzige Möglichkeit, das Karfreitagsabkommen zu schützen und Frieden und Stabilität auf der irischen Insel zu garantieren“.

Der Streit belastet auch die laufenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen und ein Handelsabkommen mit London. Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Ende des Jahres bleibt es aber während einer Übergangsphase noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. 

Solange die umstrittenen Gesetzespassagen nicht zurückgenommen werden, „können wir ein künftiges Abkommen mit Großbritannien nicht bestätigen“, sagte der französische Europa-Staatssekretär Clément Beaune in einem Fernsehinterview. Ohne Abkommen droht zum Jahreswechsel ein harter wirtschaftlicher Bruch mit der Wiedereinführung von Zöllen.

Der Vorsitzende des Handelssausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange (SPD), begrüßte die Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens als „richtig und wichtig und konsistent, wenn die EU glaubhaft bleiben will“. Es gehe um Werte und Prinzipien. „Ein Abkommen ist ein Abkommen. Punkt!“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter.

Der Fraktionschef der Linken im EU-Parlament, Martin Schirdewan, äußerte allerdings Zweifel daran, dass ein Vertragsverletzugnsverfahren Premierminister Johnson beeindrucken werde. Das Binnenmarktgesetz müsse „in den Papierkorb“ oder die Gespräche mit London über die künftigen Beziehungen müssten ausgesetzt werden.

Mit dem vom Unterhaus beschlossenen Binnenmarktgesetz muss sich in London noch das Oberhaus befassen. Im House of Lords ist der Widerstand groß, nachdem Johnsons Regierung freimütig eingeräumt hatte, dass die einseitige Änderung des Brexit-Vertrages internationales Recht bricht. Die Lords können ein Inkrafttreten des Gesetzes letztlich aber nicht verhindern.

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