Im Streit um Nord Stream 2 will die scheidende US-Regierung in letzter Minute noch Sanktionen gegen die Gas-Pipeline zwischen Russland und Deutschland verhängen. Die geplanten Strafmaßnahmen richten sich gegen ein russisches Verlegeschiff. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft erklärte am Dienstag, er sehe noch eine „gute Möglichkeit“, dass Berlin mit der neuen US-Regierung unter Joe Biden eine Lösung finden wird – und die Pipeline doch noch „zeitnah“ fertiggestellt wird.
Das Bundeswirtschaftsministerium teilte am Montagabend mit, die scheidende US-Regierung unter Präsident Donald Trump werde am Dienstag Sanktionen gegen das russische Verlegeschiff „Fortuna“ und dessen Inhaber, die russische Firma KVT-RUS, verhängen. Darüber habe Washington die Bundesregierung und andere europäische Partner am Montag in Kenntnis gesetzt. „Wir nehmen die Ankündigung mit Bedauern zur Kenntnis“, sagte ein Ministeriumssprecher.
Die Pipeline soll das Potenzial für russische Gaslieferungen nach Deutschland deutlich erhöhen, schürt aber Spannungen sowohl innerhalb der EU als auch mit den USA. Die US-Regierung von Trump lehnt den Bau der Pipeline entschieden ab und verhängte bereits Ende 2019 Sanktionen gegen die Betreiber von Verlegeschiffen; außerdem drohte Washington weitere Sanktionen gegen beteiligte Firmen an.
Die Verlegearbeiten waren deshalb im Dezember 2019 ausgesetzt worden. Derzeit ist die Pipeline nach Angaben der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG, an der neben dem russischen Energieriesen Gazprom auch Uniper und Wintershall aus Deutschland, der französische Konzern Engie, der britisch-niederländische Konzern Shell sowie OMV aus Österreich als Finanzinvestoren beteiligt sind, zu 94 Prozent fertiggestellt. Demnach sind noch etwa 120 Kilometer Pipeline in dänischen und etwas über 30 Kilometer in deutschen Gewässern zu verlegen.
Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes, erklärte, führende US-Demokraten, darunter der designierte Außenminister Antony Blinken, hätten klargestellt, dass sie eine Bevormundung wichtiger Verbündeter durch die USA im Stil von „America First“ ablehnen. „Nichts anderes stellen die neuen Sanktionen gegen ein Energieprojekt dar, an dem neben russischen auch Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich beteiligt sind“, betonte Hermes.
Er begrüßte den Aktionsplan der EU-Kommission zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und Finanzsystems, der am Dienstag verabschiedet werden sollte. Er soll europäische Firmen besser vor Sanktionen durch Drittstaaten wie den USA schützen. Auch Gegenmaßnahmen außerhalb des Handelsbereichs sollen dafür in Betracht gezogen und der rechtliche Schutz von EU-Unternehmen vergrößert werden.
Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses äußerte sich zudem „verwundert“ über Forderungen etwa von Grünen-Politikern, die Pipeline jetzt politisch zu stoppen oder ein Moratorium zu verhängen. „Das Projekt Nord Stream 2 ist privat finanziert und wird auf der Grundlage geltenden EU-Rechts umgesetzt. Politiker, die Rechtsgrundsätze der politischen Großwetterlage unterordnen wollen, begeben sich auf dünnes Eis“, erklärte Hermes. Investitionssicherheit sei eine wesentliche Errungenschaft des europäischen Binnenmarkts – „diese sollte nicht in Frage gestellt werden“.
Hermes betonte: „Sollten Gaslieferungen aus Russland ausfallen, könnte die Versorgung über den Import von LNG-Gas gesichert werden.“ Der Import von Fracking-Gas aus den USA wäre demnach jedoch wesentlich teurer und umweltschädlicher. „Sollte Nord Stream 2 gestoppt werden, ist in erster Linie mit steigenden Gas- und Strompreisen für die europäischen Verbraucher und die Industrie zu rechnen.“
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Klaus Ernst, nannte es „unerträglich“, wie die USA die wirtschaftlichen Interessen ihrer Gasindustrie durchsetzen und dabei sogenannte Verbündete zu Befehlsempfängern degradieren wollten. Er fordere die Bundesregierung auf, die Geschäftsträgerin der US-Botschaft einzubestellen und unmissverständlich die Haltung der Bundesregierung deutlich zu machen. Denn: Er befürchte, „auch der neue Präsident wird die aggressive Wirtschaftspolitik seines Landes nicht ändern“, erklärte Ernst.
Die Amtsübergabe in Washington findet am Mittwoch statt. Die Amtszeit der Regierung Trump endet um 12.00 Uhr Washingtoner Zeit.