Am Dienstag befasst sich der Koalitionsausschuss mit der Wahlrechtsreform – die SPD hält aber eine umfassende Neuregelung nicht mehr für möglich. Die Union habe „viel Zeit verspielt, weshalb es für eine grundlegende Reform knapp ein Jahr vor der Wahl mittlerweile zu spät ist“, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Die Spitzen der schwarz-roten Koalition wollen auf einer Sitzung am Dienstag nach einem Ausweg aus dem verfahrenen Streit über die Wahlrechtsreform suchen. Die Union wirbt vorab für ihren Vorschlag, der unter anderem eine Reduzierung von 299 auf 280 Wahlkreise und bis zu sieben Überhangmandate ohne Ausgleich für die anderen Parteien vorsieht.
Die SPD lehnt das Konzept ab. Den Unionsparteien gehe es hier allein um „den eigenen, taktischen Vorteil“, kritisierte Walter-Borjans in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Donnerstag.
Würde der Unionsvorschlag nach der nächsten Wahl angewendet, hätten CDU und CSU mehr Mandate, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen, sagte er. „Das wäre ein einseitiger Vorteil für CDU und CSU, natürlich auf Kosten aller anderen Parteien.“ Die SPD und die Oppositionsparteien verfolgten hingegen das Ziel, „das Zweitstimmenverhältnis nicht zu verzerren“.
„Wir brauchen jetzt eine Übergangslösung mit einer Obergrenze für den nächsten Bundestag“, sagte der SPD-Vorsitzende weiter. Er bekräftigte zudem die Forderung seiner Partei nach einer sogenannten Paritätsregelung. Damit müssten die Wahllisten der Parteien abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt werden, um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Bundestag zu erreichen.
„Es ist schlichtweg unfair, dass Frauen in der Politik immer noch unterrepräsentiert sind“, erklärte dazu SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag. Dies sei ein strukturelles Problem, „vor allem bei den konservativen Parteien“. Deshalb werde die SPD „bei der anstehenden Wahlrechtsreform auf mehr Gleichberechtigung im Bundestag dringen“.
Die Union pochte auf eine Einigung am Dienstag. „Alles andere können wir den Bürgern, von denen viele in der Corona-Krise gerade um ihre Existenz kämpfen, nicht erklären“, befand Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU). Mit jedem Tag ohne eine Vereinbarung zur Wahlrechtsreform „verspielen wir Vertrauen und Glaubwürdigkeit“.
„Ein Kompromiss ist schwierig, aber eine Null-Lösung wäre fahrlässig“ pflichtete ihm Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) bei. „Die Wahlrechtsreform kann und muss im September auf den Weg gebracht werden.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, attackierte die große Koalition scharf. „Es ist politisches Versagen auf ganzer Linie, dass CDU/CSU und SPD es nicht schaffen, einen gemeinsamen Vorschlag für eine Wahlrechtsreform vorzulegen“, erklärte er. „Drei Jahre hatten sie seit der Bundestagswahl Zeit dafür – jetzt stehen sie kurz vor der Aufgabe.“
Korte verwies auf den gemeinsamen Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen zur Wahlrechtsreform, der seit Oktober vorliegt. Dieser könne „in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause verabschiedet werden“.