Die deutsche Strafjustiz muss laut einem Zeitungsbericht immer häufiger Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen, weil die Strafverfahren zu lange dauern. Im vergangenen Jahr habe es mindestens 69 solcher Fälle gegeben, berichten die Zeitungen der Funke Mediengruppe in ihren Dienstagsausgaben unter Berufung auf Angaben des Deutschen Richterbunds. 2018 hatten die Justizverwaltungen der Bundesländer demnach 65 solcher Fälle verzeichnet, 2017 waren es 51.
In den vergangenen fünf Jahren seien insgesamt mehr als 250 Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil Gerichte gegen das Beschleunigungsgebot für Haftsachen verstoßen hätten, schreiben die Funke-Blätter. Diese Zahlen machten sehr deutlich, „dass die Strafjustiz nach wie vor am Limit arbeitet“, sagte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn, diesen Zeitungen.
Die hohe Belastung führt Rebehn auf zwei Faktoren zurück: Zum einen seien Strafverfahren vielfach aufwändiger als in der Vergangenheit, zum anderen sei die Personaldecke der Strafjustiz „immer noch deutlich zu kurz“. Die zusätzlichen Stellen, die in den vergangenen beiden Jahren in den Ländern geschaffen wurden, hätten „wenig bewirkt“, da die Aufgaben der Staatsanwaltschaften und Gerichte in gleichem Maße mitgewachsen seien.
Besonders belastet sind nach Angaben des Richterbunds die Staatsanwaltschaften. Die Zahl der Verfahren, die nach Ermessen eingestellt wurden, sei zwischen 2009 und 2019 um mehr als 200.000 Fälle gestiegen – eine Zunahme um 20 Prozent. Dies betrifft den Angaben zufolge Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft zwar einen hinreichenden Tatverdacht sieht, das Verfahren aber beispielsweise wegen Geringfügigkeit beendet.
Rebehn appellierte an die Politik, die Justiz besser auszustatten. Die neuen Gesetze gegen Hass und Hetze im Internet, Unternehmenskriminalität, Geldwäsche und Kindesmissbrauch führten zu einem Bedarf von „hunderten zusätzlichen Richtern und Staatsanwälten“, sagte er.