Die Parteien in Deutschland können ihre Kandidaten für den Bundestag künftig in Pandemie-Zeiten oder in anderen Notlagen ohne Präsenzversammlungen aufstellen. Gegen die Stimmen der Opposition votierte der Bundestag am Freitag für eine entsprechende Neuregelung des Bundeswahlgesetzes. Der Bundesrat billigte dies noch am selben Tag. Bislang schreibt das Gesetz für die Aufstellung Wahlversammlungen mit persönlicher Anwesenheit von Kandidaten und Delegierten vor.
Künftig kann das Bundesinnenministerium in Fällen von Pandemien, anderen Naturkatastrophen oder ähnlichen Ereignissen per Verordnung die Nominierung von Wahlkandidaten ohne Einberufung von Präsenzversammlungen erlauben. Voraussetzung ist, dass der Bundestag feststellt, dass solche Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich sind. Die Abstimmungen können dann per Briefwahl oder digital erfolgen.
Die Oppositionsparteien Grüne, Linke und FDP kritisierten in der Plenardebatte, dass der Gesetzentwurf dem Bundesinnenministerium zu weit reichende Vollmachten auf Kosten des Parlaments einräume.
„Die Regierung reißt in dieser Krise Kompetenzen in einer Art und Weise an sich, die unserer Demokratie nicht gut zu Gesicht stehen, ja ihr sogar schaden“, sagte der Linken-Abgeordnete Friedrich Straetmanns. Der Koalitionsentwurf erlaube es dem Bundesinnenminister, nach „persönlichem Belieben“ Abweichungen vom Bundeswahlrecht zu verordnen.
Das nun angenommene Gesetz sieht vor, dass der Bundestag zunächst eine „Lage höherer Gewalt“ etwa im Falle eine Pandemie feststellt, die eine Änderung im Aufstellungsverfahren erfordert. Danach legt das Bundesinnenministerium per Verordnung fest, ob und in welcher Weise bei der Aufstellung von Bundestagskandidaten auf die sonst vorgeschriebenen Wahlversammlungen verzichtet werden kann. Diese Verordnung wird dann durch ein Votum des Bundestags in Kraft gesetzt.
Der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens wies das Argument der Koalition zurück, dass der Bundestag dadurch das letzte Wort über die Regelung zur Kandidatenaufstellung habe. Der Bundestag entscheide lediglich über das, „was das Bundesinnenministerium als Verordnungsentwurf vorlegt“, kritisierte Martens.
Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann kritisierte, dass das Gesetz nicht nur für die Corona-Pandemie gelte, sondern auch für nicht näher bestimmte „ähnliche Ereignisse“. Hier werde ein „viel zu breites Fenster geöffnet“, sagte Haßelmann. „Diese Verordnungsermächtigung ist völlig unbestimmt“ und deshalb „völlig falsch“.
Der AfD-Abgeordnete Jochen Haug kritisierte das Gesetz als unnötig: Die derzeitige Corona-Pandemie „rechtfertigt eine Abkehr vom Präsenzbetrieb jedenfalls nicht“, sagte er. Der Gesetzgeber müsse sich vielmehr Gedanken machen, wie er Wahlversammlungen auch in schwierigen Zeiten ermögliche – etwa indem er große Hallen in öffentlicher Hand für Aufstellungsversammlungen zur Verfügung stelle.
Koalitionsvertreter wiesen die Kritik zurück. Der CSU-Abgeordnete Michael Frieser verwies darauf, dass der Bundestag zwei Mal abstimmen muss, ehe eine Abweichung vom normalen Aufstellungsverfahren in Kraft tritt. „Wir beschränken uns auf das mildestmögliche Mittel.“
Der SPD-Abgeordnete Mahmut Özdemir betonte: „Nur der Bundestag darf eine solche Lage höherer Gewalt feststellen.“ Ohne eine Zustimmung des Parlaments werde „eine solche Verordnung nicht ins Werk gesetzt“.