Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Bundestag eindringlich für eine rasche Verabschiedung der bundesweiten Corona-Notbremse geworben und dabei ausdrücklich die nächtliche Ausgangssperre verteidigt. Jeder Tag, an dem das Gesetz früher komme, sei ein gewonnener Tag, sagte die Kanzlerin am Freitag zum Auftakt der Bundestagsberatungen über das neue Infektionsschutzgesetz. Die Opposition drängte auf Nachbesserungen an der geplanten Neuregelung.
„Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten, sie machen alles nur noch schwerer“, sagte die Kanzlerin in der Debatte. Das Virus lasse nicht mit sich verhandeln. „Es versteht nur eine einzige Sprache, die Sprache der Entschlossenheit.“
Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, „müssen wir die Kräfte von Bund, Ländern und Kommunen besser bündeln“, betonte Merkel. Sie verwies dabei auf die steigende Belegung der Intensivstationen mit Corona-Patientinnen und patienten. „Wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden“, hob die Kanzlerin hervor. Sie räumte zugleich ein, dass den Menschen durch die Maßnahmen der Politik viel zugemutet werde. „Wir Politiker machen es ihnen wirklich nicht leicht“, sagte sie. Viele brächten aber Geduld und Einsicht auf.
Bei der umstrittenen nächtlichen Ausgangssperre, die dem Gesetzentwurf zufolge zwischen 05.00 Uhr und 21.00 gelten soll, überwögen die Vorteile gegenüber den Nachteilen, sagte Merkel. Ausgangsbeschränkungen seien bereits jetzt im Infektionsschutzgesetz angelegt, andere Länder handhabten sie wesentlich restriktiver. Reduziert werden sollten abendliche Besuche, bei denen häufig ja auch der öffentliche Nahverkehr benutzt werde.
Merkels Rede wurde mehrfach von Zwischenrufen unterbrochen, deshalb bat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Abgeordneten um Ruhe. Die SPD machte in der Debatte erneut deutlich, dass sie Lockerungen bei der nächtlichen Ausgangssperre anstrebt – etwa um Individualsport zu ermöglichen, wie Fraktionsvize Dirk Wiese sagte.
Das neue Infektionsschutzgesetz sieht neben der nächtlichen Ausgangssperre auch Schließungen von Geschäften vor – und zwar ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 pro 100.000 Einwohnern. Ab einem Wert von 200 soll es Distanzunterricht in den Schulen geben.
Die Oppositionsfraktionen kritisierten das Gesetzesvorhaben aus unterschiedlichen Gründen. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel warf der Bundesregierung „eine Notstandsgesetzgebung durch die Hintertür“ vor. FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner sagte, mit dem Gesetzentwurf würden „die falschen Konsequenzen aus dem Scheitern der Osterruhe“ gezogen. Er drohte eine Verfassungsbeschwerde an, falls die Bundesregierung nicht nachbessere.
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch sagte, es dürfe keinen Blankoscheck für die Bundesregierung geben. Die Maßnahmen träfen Schulen und Kinder „hammerhart“. „Aber in der Wirtschaft sind sie wachsweich“, sagte er. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wiederum kritisierte die Gesetzesvorlage als nicht weitreichend genug. So komme eine Inzidenz von 100 „zu spät, um noch zu bremsen. Wir müssen konsequent zurück auf 50, besser noch auf 35.“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekräftigte im Deutschlandfunk seine Auffassung, dass die geplanten Ausgangsbeschränkungen mit dem Grundgesetz im Einklang stehen. Es sei „verhältnismäßig und möglich, bei einer hohen Inzidenz zu solchen Maßnahmen zu greifen, um Kontakte zu reduzieren“, sagte er.
Mit der Neuregelung übernimmt der Bund erstmals weitreichende Kompetenzen in der Pandemiebekämpfung von den Ländern. Das Gesetz soll am Mittwoch im Bundestag und am Donnerstag im Bundesrat beschlossen werden.