Regierung muss Bundestag umfassend über Linien in EU-Verhandlungen informieren

Deutscher Bundestag - Bild: Stefan Woidig
Deutscher Bundestag - Bild: Stefan Woidig

Die Bundesregierung muss den Bundestag umfassend und so früh wie möglich über ihre Linien in EU-Verhandlungen informieren. Das habe sie im Jahr 2015 versäumt, als sie das Parlament nicht rechtzeitig über ihre Position zum möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro informiert habe, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe laut Mitteilung vom Mittwoch. Das Gericht gab damit einer Klage der Grünen-Bundestagsfraktion statt. (Az. 2 BvE 4/15)

In der Eurokrise hatte der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Möglichkeit eines vorübergehenden Ausscheidens Griechenlands aus der gemeinsamen Währung ins Spiel gebracht, falls das Land keine ausreichenden Reformen umsetze. Dies schlug er bei einem Treffen der Finanzminister der Eurogruppe im Juli 2015 vor, schlussendlich setzte sich die Position beim späteren EU-Gipfel aber nicht durch. Stattdessen wurde ein weiteres Hilfspaket beschlossen.

Die Grünen bemängelten in der Ende 2015 eingereichten Organklage, dass das Finanzministerium den Bundestag vor dem Treffen nicht über seinen Vorschlag informiert habe. Das Parlament habe die Vorgänge „gleichsam als Außenstehender“ beobachten müssen und nicht Stellung nehmen können. Tatsächlich habe der Bundestag einen Anspruch darauf gehabt, dass ihm die Regierungsposition noch vor der Sitzung der Eurogruppe und dem EU-Gipfel mitgeteilt werde, entschied das Gericht nun.

Finanzhilfen für Griechenland beträfen das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments. Ein möglicher vorübergehender Austritt des Landes aus dem Euro hätte „ganz erhebliche Auswirkungen“ auf den EU-Integrationsprozess und den Bundeshaushalt gehabt, hieß es weiter. Wegen der „herausragenden Bedeutung“ und der Komplexität der Sache sei eine „besonders intensive Beteiligung“ des Bundestags geboten gewesen.

Die Bundesregierung könne sich auch nicht darauf berufen, dass es sich nur um interne Überlegungen des Ministeriums gehandelt habe. Schäuble habe selbst später betont, dass seine Position innerhalb der Regierung abgestimmt gewesen sei. Zudem habe das Ministerium vor der Konferenz der Eurogruppe ein Schreiben auf Englisch erstellt und an einige Spitzenpolitiker verschickt. Darin seien die Reformvorschläge Griechenlands als unzureichend zurückgewiesen und mögliche Verhandlungen über einen vorübergehenden Austritt des Landes aus dem Euro angeboten worden.

Der Inhalt habe die Position der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt wiedergegeben, die so den anderen Teilnehmern der Verhandlung kommuniziert worden sei, teilte das Verfassungsgericht mit. Mit dem Verschicken des Schreibens habe ein Abstimmungsprozess auf europäischer Ebene begonnen, über dessen inhaltliche Ausrichtung der Bundestag vorab hätte informiert werden müssen. Das Gericht verwies auf Artikel 23 des Grundgesetzes, nach dem die Regierung Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichten muss.

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler und Manuel Sarrazin, die die Klage initiiert hatten, begrüßten die Entscheidung. „Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist ein Sieg für die parlamentarische Demokratie“, erklärten sie. Der Bundestag dürfe „gerade bei höchst sensiblen und brandgefährlichen Positionen wie dem damaligen ‚Grexit-Vorschlag‘ nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle“ gedrängt werden.

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