Mehr als 23 Jahre lang hatte der Tote in der Sandkuhle nicht einmal einen Namen. Weniger als einen Monat dauerte es, bis das Landgericht Aachen am Dienstag einen heute 51-Jährigen für den Mord im Jahr 1996 zu lebenslanger Haft verurteilte. In einem Fall, in dem lange Zeit mehr Fragen offen als geklärt waren, wiegt die Schuld des Achim K. im Prozess mit jeder Zeugenaussage schwerer.
Während der 51-Jährige auf der Anklagebank beharrlich schweigt, rekonstruiert die Kammer den Mord an einem Mann aus Würselen, der wegen des Fundorts der Leiche als sogenannter Cold Case Sandkuhle bekannt wurde. K. wurde für schuldig befunden, den 43-Jährigen gemeinsam mit einem inzwischen gestorbenen Mittäter grausam und aus Habgier in dessen Werkstatt getötet zu haben.
Zuerst soll der Komplize dem Opfer mehrfach mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen und ihm schwere Verletzungen zugefügt haben. Dann soll ihm der Angeklagte „den Rest gegeben“ haben, wie der Vorsitzende Richter Roland Klösgen aus einer Zeugenaussage zitiert. „Wie Müll“ hätten die beiden Männer die Leiche ihres Opfers anschließend in einer hundert Kilometer entfernten Sandgrube „entsorgt“.
Jahrelang fehlte den Ermittlern jede Spur. Weder der Tatort oder der Tathergang noch der Tatzeitpunkt waren bekannt – von einem mutmaßlichen Täter oder mehreren Tätern ganz zu schweigen. Wie der Fall aufgeklärt wurde, rekonstruiert Richter Klösgen Schritt für Schritt.
Als 2019 mittels neuer Digitaltechnik erstellte Montagebilder des unbekannten Toten in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ausgestrahlt wurden, meldeten sich über 50 Anrufer. Plötzlich hatte der Tote einen Namen, ungeklärte Fragen wurden Stück für Stück beantwortet.
Eine Freundin des Opfers konnte sich noch genau erinnern, wann sie den 43-Jährigen zuletzt gesehen hatte – beim großen Abschiedsboxkampf zwischen Henry Maske und Virgil Hill, den sie gemeinsam vor dem Fernseher verfolgten. Das war am 23. November 1996. Danach verlor sich die Spur des Autobastlers aus Würselen – bis zum 6. Dezember, als ein Jäger seine Leiche in der Hauser Sandkuhle entdeckte. Der Todeszeitpunkt lag folglich irgendwann in den zwei Wochen dazwischen.
In die Ermittlungen kam wieder Bewegung. Den entscheidenden Hinweis lieferte der Bruder des damaligen Mittäters. „Ich weiß, was damals passiert ist“, sagte Thomas S. am ZDF-Hinweistelefon. „Das belastet mich schon seit 23 Jahren.“ Der Anrufer beschuldigte seinen mittlerweile gestorbenen Bruder, damals an dem Mord beteiligt gewesen zu sein.
In Vernehmungen zeigte sich, dass der Mann über Täterwissen verfügte – nicht, weil er selbst dabei war, sondern aus Erzählungen seines Bruders. Der Hammer, den S. als Tatwaffe beschreibt, passt zu den Verletzungen, die die Rechtsmediziner am Schädel des Opfers feststellten. Aus dem Fernsehen kann S. nicht von dem Hammer gewusst haben: Dort war lediglich von einem Rohr als möglicher Tatwaffe die Rede.
Das „Kerngeschehen“ habe S. bei intensiven Vernehmungen „immer und immer wieder gleich“ geschildert, sagt der Richter. Der Mann sei nach Auffassung der Kammer nicht dazu in der Lage, sich derart originelle Details auszudenken. Aufgrund der Aussagen von rund 30 Zeugen, darunter auch der damalige Ermittlungsleiter der Kriminalpolizei, ergebe sich für die Kammer ein eindeutiges Motiv – das Opfer aus dem Weg zu räumen, um an dessen Werkstatt zu kommen.
Dieser Plan schien zunächst aufzugehen. Nach dem Tod des rechtmäßigen Besitzers sollen die Täter die Werkstatt im Erdgeschoss des Wohnhauses weiter betrieben und als ihre eigene ausgegeben haben. Doch sie wussten damals offenbar nicht, dass der 43-Jährige zum Zeitpunkt seiner Ermordung in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten steckte – und die Zwangsversteigerung seines Hauses bevorstand. Nur ein Jahr später wurde das Wohnhaus samt Werkstatt verkauft.