Betreuungskräfte, die Pflegebedürftige rund um die Uhr in deren Wohnung versorgen, können Anspruch auf den Mindestlohn für 24 Stunden täglich haben. Der Mindestlohnanspruch gilt hier auch für Bereitschaftszeiten und auch für ausländische Arbeitgeber, wie am Donnerstag das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entschied. (Az. 5 AZR 505/20)
Die klagende Sozialassistentin aus Bulgarien hatte einen Arbeitsvertrag über 30 Wochenstunden und erhielt monatlich rund 1560 Euro. Arbeitgeber war ein bulgarisches Unternehmen, das mit einer deutschen Vermittlungsagentur kooperierte. Diese warb mit einer „24-Stunden-Pflege zu Hause“. Im ihrem Vertrag mit der Pflegebedürftigen hatte sich die Agentur zu einer umfassenden Betreuung einschließlich des kompletten Haushalts verpflichtet.
Mit ihrer Klage machte die Sozialassistentin geltend, sie habe 2015 bei der Betreuung einer über 90-Jährigen in Berlin faktisch rund um die Uhr gearbeitet oder nachts Bereitschaft geleistet. Daher verlangte sie den Mindestlohn für 24 Stunden täglich, insgesamt 42.636 Euro für sieben Monate. Von ihrem Arbeitgeber hatte sie 6.680 Euro bekommen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg sprach ihr 38.377,50 Euro für täglich 21 Arbeitsstunden zu.
Das BAG bestätigte nun, dass der gesetzliche Anspruch auf Mindestlohn auch ausländische Arbeitgeber und auch Bereitschaftszeiten umfasst. Betreuerinnen, die rund um die Uhr arbeiten oder sich nachts zumindest auf Zuruf bereithalten müssen, könne daher der Mindestlohn für volle 24 Stunden pro Tag zustehen.
Das LAG habe allerdings die Arbeitszeit auf unzureichender Grundlage geschätzt. Es soll daher erneut prüfen, „in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dessen Rechtsschutz die Klägerin vertreten hatte, sprach von einem „Paukenschlag“ für die häuslichen Altenpflege. „Dickfellige Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen setzen sich mit dem Angebot der Rund-um-die-Uhr-Betreuung seit Jahren über geltendes Recht hinweg.“, erklärte DGB-Bundesvorstand Anja Piel. „Was für die Auftraggeber ein Sorglos-Paket ist und für Arbeitgeber und Vermittlungsagenturen eine Goldgrube, ist für die Beschäftigten pure Ausbeutung“. Den Betroffenen müsse Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt „seine Versäumnisse erklären“.
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, sprach von einer „Bankrotterklärung für das ambulante Pflegesystem“. Nach der Pflegereform, die am Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, bekämen Zuhause Gepflegte weniger Geld als bislang, warnte Bentele in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Eine Rund-um-die-Uhr-Pflege Zuhause sei nach dem Erfurter Urteil „für die allermeisten unbezahlbar“.
Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl gratulierte der Bulgarin zu ihrem Zwischenerfolg. „Jede Stunde Arbeit muss entlohnt werden – Punkt“, erklärte sie in Berlin.
Die Zahl der meist osteuropäischen Frauen, die zur Betreuung Pflegebedürftiger in deutschen Haushalten arbeiten, wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt. Sie werden meist von deutschen Agenturen vermitteln, haben ihren Arbeitsvertrag aber oft mit einem Unternehmen im Herkunftsland.