Schäuble warnt zu Holocaust-Gedenktag vor Erstarken von Hass-Ideologien

Wolfgang Schäuble - Bild: Kuebi = Armin Kübelbeck / CC BY-SA
Wolfgang Schäuble - Bild: Kuebi = Armin Kübelbeck / CC BY-SA

In der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus hat Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vor einem Erstarken von Hass-Ideologien gewarnt. „Es ist niederschmetternd, eingestehen zu müssen: Unsere Erinnerungskultur schützt nicht vor einer dreisten Umdeutung oder sogar Leugnung der Geschichte“, sagte Schäuble am Mittwoch im Plenum. „Sie schützt auch nicht vor neuen Formen des Rassismus und des Antisemitismus, wie sie sich auf Schulhöfen, in Internetforen oder Verschwörungstheorien verbreiten.“

Schäuble sprach sich dafür aus, „die Formen des Erinnerns zu erneuern“. Dabei sei klar: „Unsere kollektive Verantwortung bleibt“, sagte er. „Sie schließt auch nachfolgende Generationen ein – und Deutsche, deren Familien erst nach dem Nationalsozialismus nach Deutschland gekommen sind.“ Jeder müsse sich bewusst machen: „Das Selbstverständnis unseres Landes steht auf dem Spiel.“

An Gedenktagen werde „stets Verantwortung angemahnt, sagte Schäuble. Dabei stelle sich aber die Frage: „Werden wir ihr eigentlich gerecht?“ Auch in Deutschland „zeigen sich Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder offen, hemmungslos – und gewaltbereit“, beklagte Schäuble. 

Jüdische Einrichtungen müssten von der Polizei geschützt werden, sagte der Bundestagspräsident. Juden versteckten ihre Kippa und verschweigen ihre Identität. In Halle sei die jüdische Gemeinde nur durch einen Zufall einem mörderischen Anschlag entkommen. „Nach Jahrzehnten der Zuwanderung denken deutsche Juden über Auswanderung nach“, sagte Schäuble. „Das beschämt uns.“

Der Bundestag begeht am Mittwoch zum 25. Mal den Holocaust-Gedenktag. Hauptrednerinnen in der Gedenkstunde im Reichstagsgebäude sind die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, und die Publizistin Marina Weisband. Sie sprechen als Vertreterinnen jüdischen Lebens in Deutschland. 

Die 1932 geborene Knobloch ist Holocaust-Überlebende. Sie überstand die Schoa versteckt auf einem Bauernhof in Mittelfranken. Die 1987 in Kiew geborene Weisband spricht im Bundestag als Vertreterin der dritten Generation nach dem Holocaust. Seit 2018 ist sie Mitglied der Grünen und engagiert sich dort in den Bereichen Digitalisierung und Bildung.

Die beiden Frauen „stehen für unterschiedliche Generationen“, sagte Schäuble. „Während die eine unter der verdrängten deutschen Schuld gelitten hat, verwahrt sich die jüngere Generation deutscher Juden dagegen, ausschließlich in eine Opferrolle gedrängt zu werden.“ Junge Juden wollten „als selbstverständlicher Teil einer vielfältigen deutschen Gegenwart leben – und wahrgenommen werden“.

Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nehmen an der Gedenkstunde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident Reiner Haseloff (beide CDU) und Bundesverfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth teil. 

Vor 76 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Dort waren etwa 1,1 Millionen Menschen von den Nationalsozialisten ermordet worden. Der 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführte Holocaust-Gedenktag erinnert an die Befreiung von Auschwitz.

Die Gedenkstunde im Bundestag steht in diesmal auch im Zeichen des Jubiläumsjahrs „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Ziel des Gedenkjahrs ist es, den Zivilisationsbruch der Schoa zu verdeutlichen, indem über die viele Jahrhunderte währende jüdische Geschichte in Deutschland verwiesen wird.

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