Die Corona-Pandemie hat die ursprünglichen Pläne der Bundesregierung für ihre EU-Ratspräsidentschaft über den Haufen geworfen. Auch weitere „Pflichtthemen“ wie das Handelsabkommen mit Großbritannien nach dem Brexit werden in den kommenden sechs Monaten viel Energie binden. Dennoch will Berlin unter dem Motto „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ auch eigene Akzente setzen. Was laut dem am Dienstag veröffentlichten Präsidentschaftsprogramm geplant ist:
Klimaschutz
Die Bundesregierung stellt sich hinter das „Green Deal“-Programm der EU-Kommission. Sie will die Beratungen unter den Mitgliedstaaten über ein Klimaschutzgesetz, das „Klimaneutralität der Europäischen Union bis 2050 rechtlich verbindlich festschreibt“, bis Jahresende abschließen. Zudem soll die Erhöhung der Klimaschutzziele für 2030 beschlossen werden. Bisher ist eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent vorgesehen. Berlin unterstützt eine Erhöhung auf 50 bis 55 Prozent.
EU-Asylreform
Die Bundesregierung will die seit Jahren blockierte EU-Asylreform angehen. Sie will „verpflichtende Verfahren an den EU-Außengrenzen einführen, um Asylanträge im Rahmen eines Vorverfahrens (…) zu prüfen und bei offensichtlich fehlender Schutzbedürftigkeit die Einreise in die EU zu verweigern“. Gleichzeitig soll aber „die Überlastung einzelner Mitgliedstaaten durch eine gerechte Verteilung der Schutzsuchenden“ vermieden werden. Daran ist wegen massiven Widerstands aus Osteuropa aber bisher jeder Versuch einer EU-Asylreform gescheitert.
„Digitale Souveränität“
Europa müsse „bei digitalen Schlüsseltechnologien über Kompetenzen auf internationalem Spitzenniveau“ verfügen. Ziel sei eine „digitale Souveränität“ mit einer vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur, damit die EU „auch zukünftig aus eigener Kraft handlungsfähig“ bleibe. Die Bundesregierung will auch einen Verhaltenskodex zur Nutzung von Gesundheitsdaten auf den Weg bringen.
Wirtschaft
Berlin will die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie verbessern und im November eine Konferenz zur Stärkung von kleinen und mittleren Unternehmen abhalten. Bei Staatsbeihilfen will Deutschland bei Infrastruktur wie Breitband- und Mobilfunknetzen sowie Klimaschutzmaßnahmen vereinfachte Bedingungen ermöglichen.
Finanzen
Berlin will Pläne für eine internationale Digitalsteuer und eine globale Mindestbesteuerung vorantreiben. Auch die Finanztransaktionssteuer will die Bundesregierung weiterverfolgen. Die EU-Amtshilferichtlinie soll überarbeitet werden, um die grenzüberschreitende Besteuerung zu vereinfachen und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.
Soziales Europa
Um Ungleichheiten in Europa zu vermindern, will Berlin einen EU-Rahmen für nationale Mindestlöhne voranbringen. Zudem sollen gemeinsame Leitlinien für Grundsicherungssysteme entwickelt werden. Dabei unterstützt die Bundesregierung Pläne für eine Arbeitslosenrückversicherung, Zudem strebt sie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitern an.
Agrar
Die Bundesregierung will den Wandel in der Lebensmittelproduktion voranbringen und eine gemeinsame Position der Mitgliedstaaten zur Strategie der EU-Kommission „Vom Hof auf den Tisch“ erreichen. Auch eine abgestimmte Haltung der EU-Länder zur Agrarpolitik nach 2020 wird angestrebt.
Rechtsstaatlichkeit
Nach den seit Jahren währenden Konflikten mit Polen und Ungarn will die Bundesregierung für eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit erreichen. Sie plant einen „Rechtsstaatsdialog“ der Mitgliedstaaten und unterstützt „den Vorschlag der Kommission für eine Verknüpfung von EU-Haushaltsmitteln mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards“.
Außenpolitik
Mit den USA will Berlin einen „breiten politischen Dialog“ und sich für eine „positive transatlantischen Handelsagenda“ einsetzen. Bei China will sie auf eine geschlossene Politik der Mitgliedstaaten dringen und „konkrete Fortschritte“ in den Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen. Der abgesagte EU-China-Gipfel im September soll „so bald wie möglich“ nachgeholt werden. Als weitere Ziele werden intensivere Bemühungen zur Bewältigung von Konflikten etwa in Libyen oder der Ost-Ukraine genannt.
Erweiterung
„Wir treten für eine glaubwürdige EU-Beitrittsperspektive der Westbalkan-Staaten ein“, heißt es. Dabei soll der Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien vorbereitet werden.
Zukunft Europas
Schon im Mai sollte eigentlich eine groß angelegte „Konferenz zur Zukunft Europas“ starten. Mit starker Bürgerbeteiligung sollten dabei Reformen vorbereitet werden. Doch der Start verzögerte sich auch wegen der Corona-Krise. Mitgliedstaaten und Europaparlament sollen sich nun „zügig über Struktur und Mandat der Konferenz verständigen“.