Die Zahl der Neu-Infektionen mit dem Coronavirus hat in den USA in dieser Woche das Niveau der frühen Phase vom April erreicht. Dafür verantwortlich sind unter anderem ein ganzer Flickenteppich von Maßnahmen, der politische Streit um Schutzmasken und Abstandsregeln sowie der Beginn einer allgemeinen Nachlässigkeit.
Wie ist der derzeitige Stand?
Im Gegensatz zu Europa und Teilen Ostasiens haben die USA bis heute ihren Höhepunkt der Corona-Pandemie nicht überschritten. Während andere Länder bereits vor einer zweiten Welle warnen, steckt das von der Pandemie am schwersten betroffene Land immer noch inmitten der ersten Welle. Im April lag die Zahl der täglichen Neu-Infektionen bei über 30.000, stabilisierte sich dann im Mai für einige Zeit bei rund 20.000 pro Tag, stieg aber nun wieder auf mehr als 30.000.
Diese Zahlen geben zwei unterschiedliche Tendenzen wieder: New York und der Nordosten des Landes, die Epizentren im Februar und März, haben die Fälle inzwischen unter Kontrolle gebracht und ihre Kurven entsprechen denen in Europa – dafür explodiert das Virus nun im Süden und Westen des Landes, in Staaten wie Arizona, Florida und Texas, aber auch in Kalifornien, das wie New York schon früh strikte Beschränkungen angeordnet hatte.
Halten sich die US-Bürger an die Schutzmaßnahmen?
Das hängt von den Bundesstaaten sowie von den politischen Überzeugungen ab. Die zentralen Richtlinien empfehlen zwar eindringlich Masken und Abstandhalten, aber in vielen Gebieten, die jetzt von dem Anstieg betroffen sind, werden sie weder zwingend vorgeschrieben noch eingehalten. Gesichter ohne Mundschutz sind dort die Regel.
Dagegen trägt eine Mehrheit der Bewohner in den Städten der Ostküste Masken und hält sich an die Abstandsregeln.
Die geografischen Unterschiede stehen auch für die politische Spaltung der USA: Viele republikanische Gouverneure an der Spitze der südlichen Staaten reden ebenso wie US-Präsident Donald Trump die Pandemie klein und befürworten rasche Lockerungen. Und auch im liberalen Kalifornien gibt es Widerstand gegen die Maskenpflicht.
Doch es gibt Anzeichen, dass sich die Haltung ändert: So legte Texas angesichts des rapiden Anstiegs der Infektionszahlen weitere Lockerungen der Coronavirus-Beschränkungen auf Eis, während Floridas Gouverneur Ron DeSantis diese Woche erstmals in aller Öffentlichkeit Mundschutz anlegte.
Ist die Zunahme der Tests für die steigenden Zahlen verantwortlich?
Es stimmt, dass mit zunehmender Häufigkeit der Tests mehr leichte Fälle erfasst werden als zu Beginn der Pandemie. Doch in vielen Regionen übertrifft der Anstieg der Infektionsfälle den der Tests, was eher dafür spricht, dass sich das Virus dort wieder ausbreitet. So hat Florida kürzlich sogar die Tests reduziert – und trotzdem stiegen die Fälle an.
Auch die wachsende Zahl der Krankenhauseinweisungen in Texas, Arizona und in geringerem Maße in Kalifornien sprechen eher für regionale Ausbrüche; ebenso wie die seit Mitte Juni anhaltend hohe Zahl an dortigen Covid-19-Toten pro Tag.
Wird die Epidemie „jünger“?
Zumindest nach den von Harvard-Forschern analysierten Daten der Gesundheitsbehörde CDC trifft das zu. Nach Angaben des gesundheitspolitischen Experten Thomas Tsai waren 63 Prozent der positiv getesteten Patienten am 1. März jünger als 65 Jahre – Ende Mai stieg ihr Anteil demnach auf 82 Prozent.
Das scheint dem Wunsch vieler angeblich weniger gefährdeter Amerikaner zu entsprechen, wieder zu ihrem „normalen Leben“ zurückzukehren. Epidemiologen verfolgen auch die Auswirkungen der jüngsten Anti-Rassismus-Proteste auf die Ausbreitung des Virus. Nach Einschätzung von Harvard-Experte William Hanage sind die neuen Ausbrüche deutlich weiter verbreitet als vor wenigen Monaten.