Trockene Sommer, schmelzende Gletscher, steigende Meeresspiegel, brennende Wälder in Sibirien – wir bekommen die Folgen des Klimawandels immer mehr zu spüren. Viele Menschen gehen auf die Straße, um sich für den Klimaschutz einzusetzen. Jetzt hat ein Virus geschafft, worum wir uns seit Jahren bemühen: Seit der Corona-Pandemie sind die CO2-Emissionen zurückgegangen. Wie dieser Rückgang auch nach der Pandemie aufrechterhalten werden kann, darüber spricht Prof. Dr. Mario Liebensteiner der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Interview.
Sie haben die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Stromnachfrage und -emissionen untersucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Mein Kollege Dr. Adhurim Haxhimusa von der FH Graubünden und ich haben ein ökonometrisches Modell verwendet, um zu analysieren, welchen Einfluss die COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen in 16 EU-Ländern auf die Stromnachfrage und letztendlich auf Stromemissionen hatten. Im Gegensatz zu anderen Analysen, die beispielsweise die Emissionen im Jahr 2020 mit jenen aus 2019 vergleichen, können wir in unserem Modell andere Einflussfaktoren, wie Saisonalität, Temperaturschwankungen oder die Entwicklung erneuerbarer Energien, einbeziehen. Wir verwenden dazu stündliche Daten zur Stromnachfrage und Stromemissionen wie auch tägliche COVID-19-Infektionszahlen.
Was haben Sie herausgefunden?
In einer ersten Stufe können wir zeigen, dass Infektionszahlen den signifikanten Rückgang der Stromnachfrage sehr gut erklären. Das liegt daran, dass die graduell verstärkten Anstrengungen, das Virus einzudämmen – von Social Distancing bis hin zu Ausgangsbeschränkungen – und die damit einhergehenden Konsequenzen für die Wirtschaft, also zum Beispiel Kurzarbeit, Konsum- und Mobilitätskollaps, der Einbruch von Aufträgen und Betriebsschließungen, zu einer drastischen Reduktion des Stromkonsums geführt haben. Wir haben herausgefunden, dass zu Zeiten der strengsten COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen die Stromnachfrage um fast 20 Prozent eingebrochen ist. In Ländern wie Italien oder Frankreich, die besonders hart getroffen wurden, waren es sogar über 30 Prozent.
Ein Rückgang der Stromnachfrage bedeutet automatisch weniger Stromerzeugung. Jedoch ist es für die Intensität des Emissionsrückgangs entscheidend, welche Kraftwerke zuerst heruntergefahren werden. Hier ist es besonders wichtig, zu betonen, dass zu Beginn der Corona-Pandemie ein relativ „hoher“ CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem, dem EU Emission Trading System, herrschte, wodurch „schmutzige“ Kohle teurer als „sauberes“ Gas war und somit zuerst verdrängt wurde. Dies bewirkte eine überaus starke Emissionsverdrängung. Im Durchschnitt sehen wir einen Rückgang der CO2-Emissionen von fast 35 Prozent pro Stunde zu Zeiten der strengsten COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Werden die Emissionen nach der Pandemie wieder steigen?
Unsere Analyse lässt eine vorsichtige Einschätzung für das Jahr 2020 zu: Ausgehend von den Annahmen, dass eine zweite Infektionswelle ausbleibt, dass die Eindämmungsmaßnahmen graduell gelockert werden und dass sich die Wirtschaft graduell erholt, ergäbe ein vorsichtiges Szenario von zwei Wochen vollständiger Lockdown und vier Monaten teilweiser Lockdown eine Reduktion der Stromemissionen um 11,3 Prozent im Jahr 2020. Je länger die Eindämmungsmaßnahmen dauern, desto stärker wird auch der Emissionsrückgang ausfallen. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Emissionen relativ schnell wieder zu ihrem ursprünglich hohen Niveau zurückkehren werden.
Welche Schlüsse für die Klimapolitik und den Klimaschutz können wir aus der Pandemie ziehen – ist jetzt zum Beispiel ein guter Zeitpunkt, die erneuerbaren Energien zu subventionieren?
Trotz Klimapolitik und großer internationaler Anstrengungen, den Klimawandel einzudämmen, sind die globalen CO2-Emissionen über die letzten 30 Jahre lediglich zweimal gesunken: durch die Wirtschaftskrise 2009 und nun wesentlich stärker durch COVID-19. In beiden Fällen war es somit kein politischer Erfolg, sondern zufällige Katastrophen mit drastischen Einbußen für unseren Wohlstand, die zur Emissionseindämmung führten. Langfristige strukturelle Änderungen, beispielsweise in der Stromproduktion, sind hierbei nicht zu erwarten. Eine erfolgreiche Klimapolitik müsste demnach ein langfristig nachhaltiges Wirtschaftswachstum ins Auge fassen und im Stromsektor vor allem Investitionen in emissionsarme Technologien durchsetzen. Unsere Analyse zeigt deutlich, welche signifikante Rolle eine CO2-Bepreisung spielt. Solange die schmutzige Kohle teurer als andere, weniger schmutzige Technologien ist, werden Verbesserungen in der Energieeffizienz und erneuerbare Energien effektiv Emissionen verdrängen können. Dann bewirkt auch ein kleiner Erfolg in der Energieeffizienz langfristig eine signifikante Emissionsreduktion. Unser Fazit lautet daher, die Emissionsbepreisung weiter voranzutreiben, um eine langfristig effektive Klimapolitik zu gewährleisten.