Der EU-Gipfel zum Hilfspaket gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und dem nächsten mehrjährigen Gemeinschaftshaushalt geht in die Verlängerung. Das eigentlich nur bis Samstag geplante Treffen in Brüssel ging Diplomaten zufolge zunächst in der Nacht mit Gesprächen in kleineren Gruppen weiter. EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte eine Wiederaufnahme der Verhandlungen in großer Runde am Sonntagmittag an. Hoch umstritten blieb vor allem der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfsfonds.
Besonders hart zeigten sich weiter die „sparsamen Vier“ aus Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden zusammen mit Finnland. Sie wollen, dass deutlich weniger Mittel aus dem Corona-Hilfsfonds als nicht rückzahlbare Zuschüsse ausgezahlt werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gelang es nach Angaben französischer Diplomaten nicht, die verhärteten Fronten aufzuweichen. Sie hätten solchen „fehlenden europäischen Einsatzwillen“ nicht akzeptieren können und hätten „nach mehreren Kompromissversuchen“ die nächtlichen Verhandlungen mit den „Sparsamen“ gemeinsam verlassen.
„Das war ein sehr hartes Treffen“, hieß es übereinstimmend aus europäischen Quellen. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte nach dem Treffen vor Journalisten, er habe von Seiten Merkels und Macrons „von keinem Ultimatum gehört“. Die Gespräche würden fortgesetzt. Es wurde erwartet, dass Michel am Sonntag einen neuen Kompromissvorschlag unterbreitet.
Der Ratspräsident war Rutte und seinen Verbündeten am Samstagvormittag bereits entgegengekommen: Den Anteil der Zuschüsse senkte er von 500 auf 450 Milliarden Euro und erhöhte den Kreditanteil im Gegenzug von 250 auf 300 Euro, sodass die Gesamtsumme des Hilfsfonds gleich blieb. Doch dies reicht den „Sparsamen“ nicht. Sie fordern dem Vernehmen nach, den Anteil auf unter 400 Milliarden Euro zu drücken.
Auch Ruttes Forderung nach einem Kontrollmechanismus bei der Auszahlung der Mittel kam Michel nach. Ein Mitgliedstaat könnte demnach die Auszahlung an einzelne Empfängerländer vorerst stoppen. Ob dies de facto ein Veto eines Mitgliedstaats bedeuten könnte, blieb unklar. Die Niederlande begrüßten den Schritt, Spanien machte hingegen deutlich, dass es mit einer derartigen Regelung ein Problem hätte.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zeigte sich bei der Frage der Mitsprache bei der Auszahlung „etwas flexibler“ als Rutte. Allerdings forderte er eine weitere Senkung des Anteils der Gelder, die als Zuschüsse und nicht als Kredit ausgezahlt werden sollen. „Es ist noch ein weiter Weg zu gehen“, schrieb er in der Nacht im Kurzbotschaftendienst Twitter.
Weiterer Streit war beim Thema Rechtsstaatlichkeit programmiert. Ungarn bekräftigte seine Bereitschaft, eine Einigung zu blockieren, sollte darin die Möglichkeit vorgesehen sein, bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in EU-Staaten die Zahlungen von EU-Mitteln zu kürzen. Auch von polnischer Seite hieß es, es bestehe kein Grund, „die Rechtsstaatlichkeit mit den Haushaltsverhandlungen zu verknüpfen“.
Beim Abendessen hatten die beiden Länder ihre Position deutlich gemacht, hieß es aus EU-Kreisen. Demnach erhielten sie bei ihren Forderungen Unterstützung aus Slowenien.
Ungarn und Polen stehen wegen der Aushöhlung der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU am Pranger. Nachdem eine Reihe an EU-Verfahren gegen die beiden Mitgliedstaaten keine Lösung des Konflikts brachte, schlug die EU-Kommission einen neuen Hebel über den gemeinschaftlichen Haushalt vor. Der dafür nötige Finanzrahmen für die Zeit von 2021 bis 2027 wird zusammen mit dem Corona-Hilfspaket verhandelt und soll einen Umfang von 1.074 Milliarden Euro haben.