Studie: Niedriglohnjobs führen meist in eine „Sackgasse“

Beispielsweise der Handel

Viele Niedriglohnbeschäftigte in Deutschland warten jahrelang vergeblich auf einen Wechsel in besser bezahlte Beschäftigung. Jeder zweite Betroffene ist auch nach vier Jahren noch in einem Niedriglohnjob beschäftigt, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervorgeht. Nur etwa ein Viertel schafft in dieser Zeit den Aufstieg. Die Stiftung forderte ebenso wie Linke und Grüne die Regierung zum Handeln auf.

Für die Studie analysierten Wissenschaftler des Instituts DIW Econ, einer Tochterfirma des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die Entwicklungen im Niedriglohnsektor anhand repräsentativer Langzeituntersuchungen zur sozialen Lage der deutschen Bevölkerung zwischen 1995 und 2018. Daraus ließ sich unter anderem erkennen, wie sich der Beschäftigungsstatus mit der Zeit entwickelt.

Demnach beziehen 50 Prozent der Betroffenen auch nach vier Jahren weiter einen Niedriglohn, nur 27 Prozent konnten sich verbessern. Besonders für Frauen sowie Ältere erweise sich der Niedriglohn als eine „Sackgasse“.

Als Konsequenz zog die Stiftung eine sehr durchwachsene Bilanz der in Deutschland seit den 1990er Jahren forcierten Ausweitung des Niedriglohnsektors und forderte, Minijobs sowie andere schlecht abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse „zurückzudrängen“. Zwar hätten Niedriglohnjobs die Arbeitslosigkeit gesenkt, zugleich enttäuschten sie allerdings die in sie gesetzten Erwartungen als „Sprungbrett“. Niedriglöhne blieben oft „Dauerzustand“, auch weil ganze Branchen „ihr Geschäftsmodell“ auf diesen aufgebaut hätten.

Bertelsmann-Vorstand Jörg Dräger sprach von einem „hohen Preis“ des Konzepts und forderte Reformen. Gerade die Corona-Krise zeige noch einmal die Schattenseiten, erklärte er. So stellten systemrelevante Branchen wie der Handel, Transport- und Nahrungsmittelindustrie oder Gesundheitswesen einen Großteil der Niedriglöhner. Minijobber und andere Betroffene verlören zudem als erstes Einkommen oder Arbeit, da sie von dem Sicherheitsnetz des staatlichen Kurzarbeitergeldes nicht erfasst würden.

Ein Eingreifen forderte auch Linksfraktionsvize Susanne Ferschl. „Es braucht dringend Reformen am Arbeitsmarkt und eine Regulierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse“, erklärte sie. Der Mindestlohn müsse auf mindestens zwölf Euro steigen, außerdem müssten sachgrundlose Befristungen eingeschränkt werden. 

Ferschl forderte zudem eine Stärkung der Tarifbindung – das Vetorecht der Arbeitgeber gegen die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen müsse fallen. „Einige Unternehmen haben ihr Geschäftsmodell inzwischen systematisch auf Niedriglöhnen aufgebaut. Und wer diesen Sumpf trockenlegen will, sollte gerade nicht die Frösche darüber entscheiden lassen.“

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Beate Müller-Gemmeke erklärte ebenfalls, die Regierung müsse „endlich Maßnahmen ergreifen, um Niedriglöhne und Minijobs zurückzudrängen“. Minijobs müssten „wieder in ganz normale, reguläre Beschäftigung“ überführt werden, verlangte sie. „Nur so sind Beschäftigte geschützt und sozialversichert.“ 

Der für die Studie maßgeblichen Definition zufolge beginnt der Niedriglohnsektor bei einem Bruttostundenlohn von 11,40 Euro und umfasste 2018 rund 7,7 Millionen Beschäftigte – mehr als ein Fünftel aller Angestellten. Ein großer Teil der Betroffenen verdiente demnach im Schnitt sogar nur 8,40 Euro pro Stunde und damit weniger als den Mindestlohn. Der deutsche Niedriglohnsektor wuchs seit den 1990er Jahren um 60 Prozent, hieß es in der Studie weiter.

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