Die Corona-Krise droht die Probleme mit Kinderarmut weiter zu verschärfen. Eltern benachteiligter Kinder und Jugendlicher arbeiteten häufig in Teilzeitarbeit oder als Minijobber und seien in der Pandemie-Zeit von Jobverlusten oder Einkommenseinbußen überdurchschnittlich stark betroffen, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse der Bertelsmann-Stiftung. Wegen der Corona-Auswirkungen bestehe die Gefahr, dass viele arme Kinder „durchs Raster fallen“, warnte der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger.
Dies liege auch daran, dass zahlreiche außerhäusliche Unterstützungsangebote staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Natur in der Zeit des Lockdowns zumindest zeitweise eingestellt worden seien, erklärte Dräger. Die Stiftung beruft sich unter anderem auf Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Problemverschärfend wirkt demnach auch das in der Zeit des Lockdown eingeführte Homeschooling, also der Unterricht zuhause. Kinder aus armen Verhältnissen verfügten oft nicht über die dafür notwendige technische Ausstattung und hätten vielfach auch keine Rückzugsräume für ungestörtes Lernen, hieß es. So hätten 24 Prozent der Kinder in Haushalten, die Grundsicherung beziehen, keinen Zugang zu einem internetfähigen PC.
Die meisten von Armut betroffenen Kinder hätten kaum Aussicht auf Besserung ihrer Situation. Derzeit seien 21,3 Prozent oder 2,8 Millionen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland von Armut betroffen, heißt es in der Analyse. Für etwa zwei Drittel von ihnen gelte dies dauerhaft, also für mindestens fünf Jahre durchgehend oder wiederkehrend. Besonders stark betroffen seien Haushalte von Alleinerziehenden sowie Haushalte mit drei oder mehr Kindern.
Regional gibt es demnach Unterschiede. So sei in Ostdeutschland der Anteil der Kinder, die Grundsicherung beziehen, von 22,1 Prozent im Jahr 2014 auf 16,9 Prozent im Jahr 2019 gefallen. In Westdeutschland stagniere die Quote dagegen bei etwa 13 Prozent – trotz bis zur Corona-Krise guter wirtschaftlicher Entwicklung. In einigen Kommunen in Deutschland seien bis zu 40 Prozent der Kinder auf Grundsicherung angewiesen, in anderen dagegen nur zwei Prozent.
„Kinderarmut bleibt ein ungelöstes strukturelles Problem mit erheblichen Folgen für das Aufwachsen, das Wohlbefinden, die Bildung und die Zukunftschancen der Kinder“, erklärten die Experten. Dräger kritisierte in diesem Zusammenhang insgesamt zu geringe Anstrengungen der Politik, um Kinderarmut zu verringern.
„Die Politik tut zu wenig, um Kindern Armut zu ersparen“, erklärte der Stiftungs-Vorstand. Er forderte die Regierungen von Bund und Ländern deswegen zum Handeln auf: „Die Vermeidung von Kinderarmut muss gerade in der Corona-Krise politische Priorität bekommen.“
Dräger sprach sich dabei für neue sozial- und familienpolitische Konzepte aus. Er verwies auf Vorschläge für ein Teilhabegeld oder eine Kindergrundsicherung. Zudem müssten Strukturen für eine konsequente Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ausgebaut werden. Besonders in der Corona-Krise habe sich auch gezeigt, dass die Wünsche und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen von der Politik nicht angemessen erfasst würden.
Bei der Analyse berücksichtigten die Forscher mehrere Faktoren. Neben der Zahl der Empfänger von Grundsicherung wurde für die Analyse im Rahmen einer kombinierten Armutsmessung auch die Armutsgefährdungsquote einbezogen, die den Anteil der Haushalte angibt, deren Einkommen (einschließlich Sozialleistungen) 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung unterschreitet.
Unter den direkten Auswirkungen von Armut werden unter anderem das Fehlen eines Autos oder elektronischer Geräte im Haushalt, der Verzicht auf Urlaubsreisen sowie auf Aktivitäten wie Kino- oder Theaterbesuche genannt.