Der Wirecard-Skandal bringt außerplanmäßig wieder Bewegung in die Liste der 30 größten Börsenunternehmen Deutschlands: Der insolvente Münchner Zahlungsdienstleister fliegt zum Montag aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) – als Nachfolger steigt der bislang im M-Dax gelistete Essenslieferdienst Delivery Hero in den Leitindex auf. Der Berliner Technologiekonzern schreibt damit seine Erfolgsgeschichte an der Börse fort – und zeigt, dass dort nicht nur Profitabilität zählt.
Delivery Hero wurde 2011 gegründet und ging 2017 an die Börse. Dabei nahm der Online-Lieferdienst aus der Startup-Schmiede Rocket Internet knapp eine Milliarde Euro ein. Die Unternehmensgruppe ist weltweit in über 40 Ländern mit ihren Bestellplattformen aktiv und beschäftigt nach eigenen Angaben etwa 25.000 Mitarbeiter. Mit seinem Plattformmodell, bei dem Kunden an Restaurants und Lieferdienste vermittelt werden, wurde das Berliner Jungunternehmen schnell zu einem der bedeutendsten Tech-Konzerne Europas und wächst nach wie vor rasant.
Bekannt wurde Delivery Hero in Deutschland mit den eigenen sowie zugekauften Marken Lieferheld, Pizza.de und Foodora. Mittlerweile ist der Konzern hierzulande aber nicht mehr aktiv. Vor rund anderthalb Jahren verkaufte er das Deutschlandgeschäft an den niederländischen Konkurrenten Takeaway – dafür gab es abermals rund eine Milliarde Euro.
Das Geld nutzten die Berliner für ihre Expansion in anderen Erdteilen. Den Großteil seines Umsatzes erwirtschaftet Delivery Hero heute in Nahost und in Asien. Ende 2019 übernahm der Konzern für 3,6 Milliarden Euro die Mehrheit am südkoreanischen Konkurrenten Woowa. Die Märkte in Nord- und Südosteuropa spielen im Vergleich kaum noch eine Rolle.
Der aggressiv vorangetriebene Wachstumskurs spiegelt sich zumindest auf den ersten Blick in beeindruckenden Konzernzahlen wieder. Delivery Hero verzeichnete im zweiten Quartal trotz eines Dämpfers zu Beginn der Corona-Krise 281 Millionen Buchungen auf seinen Plattformen, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Der Konzern erwartet, dass sich auch der Jahresumsatz mehr als verdoppelt: auf 2,6 bis 2,8 Milliarden Euro.
Ob dieses Wachstum um jeden Preis aber auch nachhaltig ist, bleibt bislang fraglich. Seit Beginn läuft das Geschäft von Delivery Hero nicht profitabel. Im Jahr 2018 betrug der operative Verlust 242 Millionen Euro, 2019 waren es sogar 648 Millionen Euro. Dem Erfolg an der Börse schadet das offensichtlich nicht: Seit Jahresbeginn legte die Aktie um rund 40 Prozent auf knapp hundert Euro zu. Der Konzern wird an der Börse mit rund 20 Milliarden Euro bewertet.
Bei ihrer Entscheidung über die Wirecard-Nachfolge im Dax zählte für die Deutsche Börse insbesondere die jüngste Indexüberprüfung vom Juli. Hier belegte Delivery Hero bei der Marktkapitalisierung Platz 27 und beim Börsenumsatz Platz 33 aller Unternehmen und lag damit insgesamt knapp vor dem Duftstoff- und Aromenhersteller Symrise.
Dass dieser derzeit profitabler arbeitet als Delivery Hero, schmälerte die Chancen des Berliner Investorenlieblings offensichtlich nicht. Manche Börsenexperten sahen es sogar als Vorteil für Delivery Hero, dass die Aktie einen höheren Spekulationswert biete und damit für Anleger mitunter attraktiver sein könne.